Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
versorgt. Aber Menschen über den Haufen schießen ist was anderes.«
»Wir waren uns überhaupt nicht einig«, ereiferte sich Fatz. »Und denk doch an Zack. Seid er tot ist, ist sowieso alles anders!«
»Wenn sich mir einer in den Weg stellt«, erklärte Ralle, »den knall ich ab.«
»Bist du noch zu retten?«, rief Bastian. »Wir sind doch keine Mörder!«
»Ich kann das nicht mehr hören, euer Gefasel von der Gewaltlosigkeit«, fuhr Ralle auf. »Was machen die denn mit uns ? Wir leben doch nur noch in Angst. Eine falsche Bewegung und du bist tot. Es langt doch, wenn du nicht ›Heil Hitler‹ sagst, und schon schleppen sie dich weg und verprügeln dich. Du hast es doch selbst erlebt, Bastian, im EL-DE- Haus. Die sind gewalttätig.«
»Aber weil die Gestapo und die SS Unschuldige töten, können wir das doch nicht auch tun«, meinte Billi. »Dann sind wir nicht besser als die.«
»Es geht ja nicht darum, Unschuldige zu töten, sondern Unschuldige zu schützen. Das ist Pflicht. Das ist Notwehr.« Ralles Stimme wurde immer schärfer. »Und zweitens: Wer von denen ist überhaupt unschuldig? Die machen doch alle mit, die stehen doch scheinbar alle hinter Hitler. Oder sie tun so und gehorchen stumpf. Die mit ihrem Kadavergehorsam gehen doch über Leichen, ohne mit der Wimper zu zucken. Darf man im Gehorsam andere abknallen?«
»Und wenn ihr bei eurer Notwehr einen erschießt, der nur aus Angst um sein Leben oder um seine Familie auf seinem Posten bleibt? Jemanden, der keine andere Wahl hat?«, gab Franzi zu bedenken.
»Soll ich vorher mit ihm diskutieren?« Ralle grinste schief. »Ja, das sind alles nette Papis und treusorgende Gatten. Und im Dienst foltern sie und lassen Menschen in Lagern verrecken.«
Und Fatz fügte hinzu: »Es geht ja nicht darum, wahllos Leute zu erschießen. Es geht um den Notfall. Die haben Waffen. Wir haben Waffen. Das ist doch nur gerecht.«
Billi sah von einem zum anderen. »Ihr seid echt tolle Kerle. Zack ist noch nicht unter der Erde, da plant ihr schon euren eigenen Tod. Und außerdem: Woher wollt ihr denn überhaupt Waffen und Munition bekommen? Wachsen ja nicht gerade auf Bäumen oder fallen vom Himmel.«
Bastian dachte an Pauls Luger. Er beobachtete Paul, doch der sagte kein Wort.
»Eigentlich sollten wir jetzt erst einmal gar nichts tun«, sagte Billi nach einer Weile. »Es reicht doch wohl, dass einer tot ist.«
»Nee«, erwiderte Bastian. »Zacks Tod wird gerächt. Da verlass dich drauf. Und ich weiß auch schon, wie ...«
Später trennten sie sich. Zu zweit oder alleine verließen sie den Schrebergarten. Bastian ging als einer der Letzten. Franzi und Paul waren noch da. Bastian griff in sein Hemd und zog Ellis Zeichnung hervor.
»Für dich, Paul. Herr Wutz fühlt sich blendend. Siehst du?« Und er grinste Paul breit an. Paul lächelte zurück.
Bastian wünschte eine gute Nacht. Dann ließ er die beiden allein.
Drei Tage später stand Oberkommissar Ziegen am Fenster seiner Küche im dritten Stock der Marzellenstraße und sah hinaus auf die Bahngleise. Wenn er den Kopf aus dem Fenster hielt und nach rechts sah, konnte er die Dachkonstruktion des Hauptbahnhofs sehen. Er hielt eine dampfende Tasse Kaffee in der Hand. Seine Katze strich ihm um die Beine und schnurrte.
»Na, meine Dicke«, sagte Ziegen und lächelte. »Genug gefuttert. Du wirst mir zu fett.« Er blickte hinaus. Er hatte freie Sicht auf den Bahndamm. Die Kriegszerstörungen waren im Bahnhofsviertel beträchtlich. Der Feind hatte es auf den Hauptbahnhof abgesehen, seine Bomber trafen ihn aber nicht. Ziegen schüttelte den Kopf. Er rührte Zucker in seinen Kaffee. Der wolkenlose Himmel versprach einen weiteren wunderschönen Sommertag. Eine Lokomotive pfiff und ein langer Güterzug zog fauchend heran.
Naziköpfe rollen nach dem Krieg, stand auf der Lokomotive.
»Schmierfinken«, dachte Ziegen wütend.
Tod für Ziegen, las er auf dem Kohletender. Ihm rutschte die Kaffeetasse aus der Hand. Sie zersprang klirrend auf den Küchenfliesen.
DUNKELHEIT
LEGTE
SICH wie ein Schleier über den Takuplatz. Bastian hockte mit Hotte, Fatz und Ralle an der Bunkermauer. Auf ihre Gesichter fiel das gedämpfte Licht der Lampe über der Bunkertreppe. Sie warteten auf den Voralarm. Den gab es eigentlich in jeder Nacht. Köln war bis zu diesem Tag bereits 173-mal das Ziel gewesen. Der von allen erwartete Großangriff war bisher ausgeblieben. Seit Tagen zogen die Bomber in großer Höhe über sie hinweg.
Sie unterhielten
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