Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
wir schon mal dabei sind ...« Er drehte sich langsam um. »Ich habe meine Einberufung. Im Januar bin ich weg.«
Franzi senkte den Kopf.
Der Einzige, der nichts sagte, war Ralle. Er hielt Bastians Gitarre auf dem Schoß und klimperte. Sie hatten den Wagen abgeladen, die Ausbeute ihres Ausflugs in Frau Roses Speisekammer verstaut und dann hatte Paul den leeren Sarg nach Melaten gefahren. Ralle hatte es vorgezogen, auf seinem Bett liegen zu bleiben und zu schweigen.
»Na, komm schon, Ralle. Was war heute auf dem Friedhof? Es sah aus, als hättest du Gespenster gesehen.« Paul setzte sich neben ihn und griff nach dem Gitarrenhals.
»Lass das!« Ralle fauchte ihn giftig an und klammerte sich an die Gitarre. Doch dann stellte er sie sanft auf den Boden und wischte sich mit der Hand durch das Gesicht. »Ich hätte heute auf Melaten beinahe auf Zacks Grab gepinkelt. Der hat ein Grab, Leute, begreift ihr? Das geht nur, wenn seine Mutter Billi bei der Gestapo verpfiffen hat. Sonst hätten die das nicht erlaubt.« Ralle hatte schnell gesprochen. Und er hatte sich gezwungen, dabei ruhig zu bleiben.
Die Stille, die sich ausbreitete, ließ keinen Zweifel zu. Es war etwas Schreckliches passiert. Alle hoben den Kopf und sahen zu Freddie hinüber, der plötzlich stocksteif auf der Matratze saß.
»Wann hast du das letzte Mal von Billi gehört?« Ralles Frage erreichte Pauls Ohr, aber er begriff noch nicht wirklich, was das alles bedeutete. Er brauchte eine halbe Ewigkeit, bis er endlich alles kapierte. Bevor er den Mund aufmachte, hörte er den anderen zu, die auch nur wirr durcheinanderredeten. Er setzte die Fetzen zusammen und überdachte die Ereignisse seit Zacks Tod auf den Schienen in Ehrenfeld.
Ziegen und Klapproth schienen sich ihrem Ziel zu nähern. Wenn die Gestapo Billi hatte, saß sie ihnen auch bald im Nacken. Wenn sie Billi zum Reden brachten, waren sie alle geliefert. Allein, dass sie ihn unter falschem Namen versteckten, konnte jeden Einzelnen den Kopf kosten.
»Vor ungefähr zwei Wochen«, begann Freddie, »habe ich Billi zum letzten Mal gesehen. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Sie ist Hilfsschwester und fährt auf den Lazarettzügen mit. Sie bleibt oft weg.«
»Aber da ist jetzt Zacks Grab! Wahrscheinlich ist Billi jetzt im EL-DE- Haus oder schon in Brauweiler.« Paul sprach aus, was alle dachten.
»Trotzdem«, sagte Hotte. »Wir sollten jetzt nicht durchdrehen. Ich versuche herauszufinden, wo sie ist. Ich gehe morgen ins Krankenhaus. Bis dahin sollten wir ruhig bleiben.«
Ralle tigerte auf und ab.
Freddie starrte Hotte an: »Mag sein. Ich für meinen Teil werde nicht warten, bis sie mich abholen.«
»Was hast du vor?«, fragte Hotte schroff.
»Ich finde, wir sollten Föls aus dem Verkehr ziehen. Erstens ist der überfällig, und zweitens können wir verhindern, dass er auf Billi herumprügelt.« Freddie sprach so ruhig, als hätte er sich das schon lange überlegt.
»Und drittens«, ergänzte Ralle, »wäre das eine deutliche Warnung an die Gestaposchweine.«
»Willst du den umlegen? Oder was hast du vor?«, fragte Franzi. »Du machst doch alles nur noch schlimmer. Auch für Billi.« Sie war dem Heulen nahe. »Wir sollten warten, was Hotte rausfindet.«
»Das könnt ihr gerne machen.« Freddie blieb hartnäckig. »Ich für meinen Teil kümmere mich um Föls.«
»Das ist doch Wahnsinn«, sagte Franzi mit leiser Stimme.
Ralle stand schon in der Tür. »Und die Flugblätter? Ist das kein Wahnsinn? Alberner Wahnsinn!«
Paul spürte, wie sehr Franzi sich zusammennahm.
»Das sind unsere Versuche, ein unmenschliches Verhalten zu beenden«, sagte sie tapfer.
Ralle lachte rau. »Du hörst dich so richtig erwachsen an. Mit Flugblättern? Und Sprüchen an Hauswänden? Ich fang gleich an zu lachen.«
»Was könnten wir sonst tun, Ralle? Immerhin setzen wir Zeichen. Wir zeigen, dass wir nicht einverstanden sind, nicht mit den Nazis und nicht mit dem Krieg. Manchen Menschen fällt nur noch das Beten ein.«
»Beten!« Ralles Stimme überschlug sich. »Beten? Zu Gott? Der hat sich verzogen.«
Das war jetzt der Punkt, vor dem Paul immer Angst gehabt hatte. Sie durften nicht ihren kühlen Kopf verlieren, aufeinander losgehen. Und wenn die Fäuste erst mal locker saßen, rannten sie auch bald mit ihren Pistolen durch die Gegend und ballerten wild herum. Und ausgerechnet jetzt war Bastian nicht da. Hotte zuckte nur mit den Schultern. Franzi weinte stumm und Fatz drehte am Radioknopf. Freddie zog Ralle an der
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