Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Ausflügen: Geborgen im Arm seines Vaters hatte er Zuversicht gespürt. Dabei hatten sie in einem Heuschober den Geräuschen der Nacht gelauscht und gewusst, dass ihnen nichts passieren konnte.
    Alles andere kam danach von selbst: Die Schrauberei an Papas Zündapp, das Fußballspielen, die Nähe, wenn er am Abend mit Vater am Tisch saß. Das Radio dudelte im Hintergrund, Mutter klapperte mit den Töpfen und erzählte von ihrem Tag, während Vater lächelnd aus der Zeitung vorlas oder mit ihm spielte. So war sein Vater. Und Bastian war stolz darauf.
    Und es gab noch etwas, was ihn immer mehr mit Bewunderung erfüllte.
    Einmal, er war bei den Pimpf gewesen und plapperte am Abend bei den Eltern nach, was man ihm auf einem dieser Heimabende erzählt hatte. Genau wusste er es heute nicht mehr. Wahrscheinlich etwas über die Chancen der Jugend im Nationalsozialismus, etwas von den Segnungen der Volksgemeinschaft. Oder über die Juden, die nur Abschaum seien. Plötzlich hatte ihm Vater eine Ohrfeige gegeben. Daran erinnerte sich Bastian genau.
    Zweimal hatte sein Vater ihn geschlagen. Einmal, als er mit Hotte Vaters Zündapp aus dem Schuppen geklaut und sie im Straßengraben zu Bruch gefahren hatte. Da gab es auf den Hintern. Aber nicht wegen des Motorrades, sondern weil Mutter tausend Ängste um ihn ausgestanden hatte. Und Bastian durfte seine Lederhose anbehalten.
    Und dann gab es diese eine Ohrfeige – plötzlich wusste er es wieder – genau in dem Moment, als er am Tisch das Wort »judenfrei« gesagt hatte.
    »Sag das nie wieder, mein Junge.« Vater hatte ihn geohrfeigt und dann sehr entschlossen angeschaut. »Nie wieder.«
    Tausend Erinnerungsschnipsel zogen an ihm vorbei, und gleichzeitig fühlte er, wie nah sie sich waren, er und sein Vater. Der hatte so viele Gesichter gehabt. Der Gewerkschafter, darauf war er auch stolz. Und seine Unbeugsamkeit. Was hatte Papa immer gesagt? »Ich lass mich nicht verbiegen.« Bastian atmete tief ein und spürte dabei, wie froh er war, so einen Vater gehabt zu haben.
    Irgendwo am Horizont musste jetzt Köln sein. Da wollte er hin.
    Er fürchtete sich auf einmal fast vor zu Hause. Denn seine Mutter, Elli und die Oma hatten andere Erinnerungen. Und diese hier waren nur seine. Und die wollte er ganz für sich behalten.
    Er passierte einen Bauernhof und spürte Hunger.
    Auf dem Hof trieben zwei Frauen in Kittelschürzen ein quiekendes Schwein in einen Stall. Neben der Tür lehnte eine Leiter. Bastian hob winkend die Hand. Sie beobachteten ihn aufmerksam. Eine der beiden Frauen zeigte auf den Kettenhund. Die andere hielt ein langes Messer in der Hand. In der offenen Stalltür dampfte ein Kessel. Hier wollte niemand etwas mit ihm zu tun haben.
    In Euskirchen nahm ihn ein schweigsamer Lastwagenfahrer mit bis Köln-Sülz.
    Bastian lehnte den Kopf an das Fenster und schlief ein.
    Das Licht im Treppenhaus ging nicht. Bastian tastete sich die Treppe hinauf, eine Hand auf dem Handlauf. Sein Herz klopfte rasend, wie ein flatternder Vogel, der eingesperrt war in seiner Brust. Er schloss leise die Tür auf. In der Küche brannte Licht. Die weiße Kommode war weg. Wo sie gestanden hatte, war ein heller Fleck auf der Tapete. Sonst war alles wie immer. Seine Mutter saß mit dem Nähzeug vor sich im trüben Licht der Deckenlampe. Bastian setzte sich zu ihr und legte seine Hand auf ihre. Auf dem Tisch stand der Bilderrahmen. Bastian auf Vaters Schultern. Er nahm ihn in die Hand und Tränen liefen über sein Gesicht.
    »Es ist vorbei, Bastian«, sagte sie und strich mit der Hand über das Foto. »Wir müssen nicht mehr warten.« Tränen liefen ihr über die Wangen und sie wischte sie sich mit dem Uniformschiffchen ab, das sie gerade mit einer Kokarde benähte. Sie hielt seine Hand so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß wurden.
    »Du siehst schrecklich aus, Bastian.« Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest. »Ich habe nicht mit dir gerechnet. Wo kommst du her?«
    »Sie haben mich rausgeschmissen. Ich musste laufen.«
    »Von Vogelsang? Das ist doch verrückt. Du musst hungrig sein. Ich mache dir etwas zu essen. Erzähl. Was ist passiert?«
    »Später, Mama. Es ist alles nicht so schlimm. Ich bin auch nicht den ganzen Weg gelaufen. Ein Lastwagen hat mich ein gutes Stück mitgenommen. Trotzdem. Ich bin völlig fertig.«
    Bastians Mutter schnitt Brot. »Wir werden nach Pfronten zu Tante Anni ziehen. Wir räumen die Wohnung. Wir sollen Platz machen für ein ausgebombtes Ehepaar. Er rennt mit der

Weitere Kostenlose Bücher