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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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verübt wurden, die in Europa noch kein Mensch gesehen hat. Vielleicht sind Sie nur ein harmloser, nicht ganz unvermögender Handelsvertreter, der das Pech hat, immer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.«
    Er trinkt seinen Kaffee aus und steht auf.
    »Aber vielleicht ja auch nicht. Wissen Sie, Juan – ich darf Sie doch Juan nennen? –, vor langer Zeit habe ich gelernt, dass man Zufällen misstrauen sollte …«
    Und Nutten mit kleinen Brüsten, schießt es mir durch den Kopf, während Arregui, die Hände in den Hosentaschen, wieder zu seinen Polizisten hinausschlendert.
    Meine Visitenkarte hat er auf dem Tisch liegengelassen. Er hat sie in der Mitte geknickt und die Ecken nach innen gefaltet.
    Ein Pfeil – und er zeigt auf mich.
    Fünf Minuten später krame ich in meinen Sachen nach dem Handy. Ich hatte es im Zelt gelassen, weil mir klar war, welches Geräusch zu viel war und welches fehlte. Es war besser, ohne Waffe hinauszugehen, so gut getarnt sie auch sein mochte. Allerdings wusste ich da noch nicht, dass ich Arregui begegnen würde.
    Zwei verpasste Anrufe im Abstand von einer Minute. Vor gerade mal einer halben Stunde.
    Juanito hätte sofort zurückgerufen.
    Nummer Drei würde es eine Stunde nach den Anrufen tun, wie es das Handbuch der FIRMA vorschreibt.
    Vielleicht bin ich endlich aber auch keiner mehr von beiden, denn ich schalte das Handy aus.
    Wenn Nummer Zwei mir etwas zu sagen hat, soll er herkommen.
    Oder jemanden schicken.
    Ich gehe jetzt jedenfalls an den Pool, um meinen Vaterpflichten nachzukommen.
    Nach dem Frühstück hat Antonio gebettelt, ich solle ihm beibringen, wie man jemandem einen richtigen Kinnhaken verpasst, so einen, der den Gegner völlig umhaut. Ich habe ihn auf später vertröstet, denn Leti hat auch eine Bitte gehabt.
    »Ich muss dir was erzählen, das ich nicht mit Mama besprechen kann.«
    Dieses Vater-Tochter-Gespräch beunruhigt mich mehr als zehn von Arreguis Verhören. Na ja, sagen wir fünf.
    Auch wenn ich mir vorwerfe, ein Macho zu sein, werde ich es mit Leti aber nicht in der Höhle führen. Dieses Geheimnis gehört Antonio. Camilleri, der für mich inzwischen irgendwie wie ein Vater ist, hat es mir geschenkt, und ich habe es an meinen Sohn weitervererbt. Irgendwann bekommt meine Große sicher noch ihre eigene Höhle; heute muss sie sich jedoch mit einem Tisch am Pool begnügen, auf dem zwei Cocktails stehen, ein farbenprächtiger alkoholfreier San Francisco für sie und ein Whisky Sour für mich. Das hat zudem den Vorteil, dass ich von hier aus Arregui und seine Leute im Auge behalten kann. Die Verlegenheit der Uniformierten bei der Befragung der FKKler ist einfach zu köstlich. Der Kommissar hingegen ist völlig cool. Ob die Camper Kleider anhaben oder nicht, ist ihm egal. Arregui hat Röntgenaugen und kann ihnen in die Seele sehen, vor ihm kann keiner was verbergen, er durchschaut jeden über kurz oder lang.
    Meine Tochter ist in den letzten beiden Tagen zur Frau gereift, wie ich jetzt erst bemerke, während sie sich mir gegenübersetzt. Das Samenkorn, das ich bei unserer Ankunft auf dem Campingplatz entdeckte, ist irgendwann klammheimlich aufgegangen. Die Dinge ändern sich von einem Augenblick auf den anderen, erklärte die alte Nummer Drei immer, und wenn man diesen einen, alles entscheidenden Augenblick mitbekommt, fühlt man sich dem Herrn ganz nah . Als er zum ersten Mal davon sprach, war ich vollkommen geplättet, weil mir nicht im Traum eingefallen wäre, dass er an Gott glaubt. Damals gestand er mir, dass er schon unzählige Nächte in der Wüste, den Steppen Asiens oder auf Polynesien verbracht hatte, um dem Moment aufzulauern, in dem die Nacht in den Tag übergeht. Es war ihm nie gelungen. Er hatte den Zeitpunkt immer verpasst, wenn auch manchmal nur ganz knapp.
    »Du aber kannst das schaffen, mein Junge«, sagte er zu mir. »Du bist kaltblütig genug und gleichzeitig noch voller Träume. Wenn du diesen Moment also jemals erleben solltest und dich Gott dann ganz nah fühlst, bitte ich dich nur um eins …«
    »Und das wäre?«
    »Gib ihm an meiner Stelle einen Tritt in die Eier.«
    Auf seine Weise war die alte Nummer Drei wirklich ein großer Philosoph. Aber er überschätzte mich. Denn Leti ist direkt vor meinen Augen zur Frau geworden, und ich habe den Moment verpasst. Ihre Körperformen deuten darauf hin, dass sie so attraktiv sein wird wie ihre Mutter; sie hat einen Körper, dem die Zeit nichts anhaben kann, und wenn sie ihm ein Bein stellen

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