Wir toeten nicht jeden
zu benutzen oder ein Messer, wenn man der Hinrichtung den Anschein eines versuchten Raubüberfalls geben will.
Soweit Methode 39 A in unserem Handbuch.
Es ist klar, dass das Treffen mit Gaspar eine Falle ist.
Und dass ich hingehe.
23
Es regnet in Strömen, so, als wolle der Himmel etwas sauber waschen, das so schmutzig ist, dass nur ein sommerlicher Wolkenbruch damit fertig wird. Es regnet, und das ist auch gut so; die schlechten Sichtverhältnisse verschaffen mir einen Vorteil. Wenn ich schon sonst keinen habe.
Laut Handbuch sollte man bei der Methode 39 A nicht improvisieren, sondern den Tatort vorab genau inspizieren. Die FIRMA führt eine ellenlange Liste mit Lokalen in sämtlichen spanischen Städten, in denen man eine 39 A anwenden kann. Sie wird ständig aktualisiert. Und es gibt, glaube ich, auch mehrere fürs Ausland. »Du kennst doch diese Schlitzaugen, die alle Welt mit ihren Kameras nerven und in Rom, Buenos Aires oder Budapest selbst noch den Arsch einer Ameise ablichten«, sagte die frühere Nummer Drei einmal zu mir, »unwissentlich arbeiten sie alle für die FIRMA.«
Ich dachte immer, das sei ein Scherz, aber bei der alten Nummer Drei wusste man das nie. Und bei der FIRMA ebenso wenig.
Für die Methode 39 A wird im Handbuch empfohlen, dreißig Minuten vor der Verabredung mit dem »Kunden« vor Ort zu sein.
Ich kam bisher immer eine Stunde vorher. Diesmal bin ich sogar zwei Stunden eher da, nachdem ich mir auf dem Stadtplan von Cartagena sämtliche Fluchtwege rund um die Kneipe eingeprägt habe. Kurz nachdem ich den Campingplatz verlassen hatte, entdeckte ich im Rückspiegel im Übrigen auch den Wagen, der mir in einiger Entfernung folgte. Das ist ebenfalls im Handbuch beschrieben: So überzeugen wir uns davon, dass der »Kunde« tatsächlich in die Falle geht.
Die verbleibende Zeit bis zu unserem Treffen ist vielleicht mein einziger Trumpf. Das und der Regen. Bei strömendem Regen habe ich bisher jedes Mal getroffen, obwohl die dicken Tropfen meine Zigarette aufweichten und die frühere Nummer Drei sich darüber kaputtlachte, dass ich aussah wie ein begossener Pudel, ein mörderischer begossener Pudel .
Ich vermisse ihn.
Hätte ich ihn bloß nicht umgebracht. Ich glaube, ich habe es aus Hochachtung vor dem getan, was er mir alles beigebracht hat, nicht so sehr aus Pflichtgefühl gegenüber meinen Arbeitgebern oder weil ich in der FIRMA unbedingt aufsteigen wollte. Mein alter Mentor wüsste jedenfalls, was in einer stürmischen Nacht wie dieser in einer Kneipe am Stadtrand von Cartagena zu tun wäre, deren bläulich zuckende Neonreklame die Hiobsbotschaft verkündet: The End .
Ich habe mich nicht von Yolanda verabschiedet, bevor ich den Campingplatz verließ. Ich habe sie allerdings auch nicht lange gesucht. Ich wollte lieber meine Zweifel behalten, denn so bleibe ich wachsam. Misstrauen, falls es keine Paranoia ist, schärft die Wahrnehmung enorm. Zumal ich heute Abend im The End nur mit einem Auge sehen kann, was um mich herum passiert.
Beltráns Mission spricht Yolanda nämlich nicht frei. Beide könnten der FIRMA angehören. Und Sofía sicher auch, jede Wette. Und Sven. Auch wenn die beiden wahrscheinlich nur Infanterie sind, Soldaten in der zweiten Reihe, die das Feuer eröffnen, falls die Offiziere versagen. Dass Beltrán seine Finger im Spiel hat, ist offensichtlich. Dass ich an Yolanda zweifele, muss ich jedoch auf meine Kappe nehmen. Mit einem einzigen Auge und einem Rattenschwanz von Zweifeln gegen ein Heer von Schatten anzutreten, verlangt mir eigentlich schon genug ab. Dass ich meine Reaktionsfähigkeit zusätzlich noch durch eine Liebe auf den ersten Blick schwäche, die mir bei diesem Gewitterregen wie eine einzige Farce vorkommt, habe ich mir wirklich selbst zuzuschreiben.
Womöglich ist mein Leben aber auch tatsächlich nur eine einzige Krimi-Klamotte, ein erbärmliches B-Picture, das nicht einmal im Nachtprogramm eines Provinzsenders ausgestrahlt würde, zwischen der Werbung für einen Wunderapparat zur Penisverlängerung und der für einen Küchenroboter, der der Hausfrau angeblich alle Arbeit abnimmt, damit sie wie die Promis in den Illustrierten den ganzen Tag Champagner trinkend am Kamin sitzen kann. Vielleicht endet mein jahrelanges Spiel mit der Schuld ja in einer Sackgasse wie die, in der The End liegt; vielleicht habe ich zeit meines Lebens ja weniger Tonys Auge und Bein gesühnt, Trophäen meiner miserablen Treffsicherheit, wenn’s wirklich drauf
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