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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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hat.
    »Sie hat von dir geredet«, sage ich. »Sie hat die ganze Zeit von dir geredet.«
    »Auch im Bett?«
    »Ist dir das wirklich wichtig?«
    »Nein. Aber ich wüsste gern, ob … du verstehst schon, ich weiß, dass ihr was miteinander hattet, nur kurz, denn dann wurde sie umgebracht, und ich war nicht zur Stelle und du auch nicht … aber …«
    Mein Mund brennt, als ich an der Zigarette ziehe, während die Bedienung hinter dem Tresen uns fast mütterlich ansieht.
    »Sie war wild wie eine Löwin«, murmelt Arregui.
    »Eine Leopardin.«
    »Stimmt, Juan, wie eine Leopardin. Aber wenn sie schlief, sah sie aus wie ein wehrloses Kätzchen; man sah sie an und spürte, dass man bereit war, zu töten, um ihr diese Sanftheit zu bewahren.«
    Ich sage darauf kein Wort, es ist auch nicht nötig. Wir rauchen schweigend, und der Rauch zeichnet vor unseren Augen Claudias Kurven nach, nicht nur die ihres Körpers, auch die ihres Lächelns und ihrer kurzen, schmerzlichen Fluchten.
    »Ich war bei ihr am Tag, bevor sie umgebracht wurde, Txema.«
    »Ich weiß. Es war allerdings in der Nacht davor. Aber das ist nicht der springende Punkt.«
    »Der springende Punkt ist, dass sie mir in jener letzten Nacht gestanden hat, dass sie mich nicht mehr länger anlügen und benutzen könne; du seist zwar ein sturer Bock und ein beschissener Bulle, der mehr an die Gerechtigkeit glaube als die spanische Justiz, aber sie liebe dich immer noch und werde deshalb zu dir zurückgehen.«
    Da packt mich Arregui so fest am Arm, dass ich froh bin, dass die Prügelei vorbei ist.
    »Ist das wahr?«
    Ich sehe ihm in die Augen und lasse ihn meine mehrere Sekunden lang ausloten, während die vollbusige Bedienung sicher denkt, wir wären zwei alte, verklemmte Schwuchteln, die sich nach einem heftigen Streit wieder versöhnen.
    »Ja, das ist es«, erwidere ich schließlich.
    Da seufzt Arregui tief auf, und Tränen beginnen ihm über die Wangen zu laufen, nicht viele, nur die, die er sich in seinem Inneren wahrscheinlich für diese letzte Wahrheit aufgehoben hat.
    So vergeht eine ganze Weile, bis er sich schließlich schnäuzt und sagt, er sei sich nicht sicher, was ich beruflich wirklich mache, wolle es im Moment aber auch gar nicht wissen. Doch ich solle lieber heute als morgen den Job an den Nagel hängen. Wie Claudia begriffen hatte, sei er nun mal durch und durch Polizist, und so viele Giftspinnen in meiner Nähe würden ihn irgendwann auf meine Spur bringen.
    Ich gebe nichts zu, leugne aber auch nichts, ich bestelle nur eine weitere Runde, die wir schweigend hinunterkippen.
    Als wir kurz darauf auf die Straße hinaustreten, ist der Himmel über Cartagena wieder so klar, als wäre der Wolkenbruch von vorhin nur ein Traum gewesen und der nasse Asphalt das Werk der nächtlichen Straßenreinigung.
    Bevor jeder in sein Auto steigt, gibt Arregui mir die Hand. In seinen Augen sehe ich, dass seine Fragen zu Claudia beantwortet sind und er die anderen auf die lange Bank geschoben hat.
    »Danke, Juan. Jetzt weiß ich auch, warum sie dich so toll gefunden hat.«
    »Und ich, warum sie so verrückt nach dir war, Txema.«
    Er fährt mit seinem Wagen voraus, und ich folge ihm, zurück zu unserem Campingplatz.
    Keine Ahnung, warum ich ihn angelogen habe. Jedenfalls nicht, um den Verdacht eines hartnäckigen, gefährlichen Kriminalkommissars von mir abzulenken.
    Es stimmt, dass Claudia von zwei Schwachköpfen umgebracht wurde und ich nichts mit ihrem Tod zu tun hatte. Aber ich schenkte Claudia in jener letzten gemeinsamen Nacht auch reinen Wein ein, erzählte ihr alles über mein Doppelleben und versprach ihr, alle Brücken hinter mir abzubrechen, wenn sie mit mir fliehen würde. Und sie antwortete, mit Txema sei es für immer aus und vorbei und sie liebe nur mich. Wir wollten neu anfangen. Zusammen. Weit weg, irgendwo an einem sonnigen Plätzchen. Doch am nächsten Tag brachten die Idioten sie um, und ich flüchtete mich wieder hinter die Maske des Profikillers.
    Bis jetzt. Bis Yolanda.
    Die Wahrheit ist fast immer beschissen , sagte die alte Nummer Drei oft zu mir. Es heißt, sie würde einen frei machen. Aber manche Wahrheiten können einen auch umbringen.
    Mich hat diese Wahrheit vor anderthalb Jahren beinahe umgebracht.
    Txema hätte sie heute Nacht garantiert umgebracht.
    Wir nehmen die Kurven ganz langsam. Wir haben keine Eile. In der Einsamkeit unserer Autos und in seltsamer Einmütigkeit müssen wir den Tod einer Frau beweinen, die in der Liebe und im Leben wild

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