Wir tun es für Geld
schon wieder perfekt kann. War ja klar. Wir müssen uns ranhalten. Aber irgendwo hakt es immer noch. Hoffentlich schaut Gustavo gleich noch mal vorbei. Ist bestimmt nur eine winzig kleine falsche Bewegung, mit der ich immer alles durcheinanderbringe.
Das Stück ist zu Ende. Und Gustavo schaut leider nicht vorbei, sondern ordnet Partnerwechsel an. Mist.
»Komm, ich zeig dir mal, wie es geht.«
Na klar. Der Streberscheitel zieht Ines von mir weg. Ich gerate währenddessen an die unauffällige Dame, an die ich meistens automatisch gerate, wenn Gustavo Partnerwechsel ausruft. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir beide Brillenträger sind.
Auch mit ihr läuft es nicht rund. Sie weiß bestimmt genau, was ich falsch mache, aber sie traut sich nicht, es mir zu sagen. Stattdessen lächelt sie mich bei jedem Tritt, den ich ihr verpasse, an und entschuldigt sich. Genau wegen solcher Menschen werden wir Brillenträger auch in tausend Jahren noch als notorische Leisetreter gelten. Ein Unding.
Ines ist sicher schon vom Streberscheitel in die Spur gebracht worden. Vielleicht können wir beim nächsten Stück ja noch mal heimlich wechseln, und sie sagt mir, was ich verkehrt mache? Verflixt, irgendwie muss ich doch…
»Tschuldigung.«
Das heißt nicht Tschuldigung, das heißt Autsch, du Trottel!, aber das lernst du wohl nicht mehr in diesem Leben.
»Autsch, Trottelchen.«
»Tschuldigung, Vanessa.«
»Du keilst aber auch nach hinten aus wie ein Hengst, Lulu. Das muss ich dir gleich mal austreiben.«
»Ach, nicht nötig, das macht schon, Dings, äh…«
»Ich heiße Erdmute.«
»Erdmute, genau, lag mir auf der Zunge.«
Vanessas Gesicht verschwindet in einer eleganten, langgezogenen Kurve aus meinem Blickfeld. Ihr Abschiedslächeln, kokett, einfältig, verschwörerisch und süß zugleich, hebt mich für gewöhnlich jedes Mal aus dem Sattel. Heute ist mir aber anders zumute. So, als wäre der Sattel weggeflogen, aber ich säße immer noch auf dem Pferd. Genau so. Ha. Soll noch einer sagen, dass Männer nicht über ihre Gefühle nachdenken.
»Tschuldigung.«
»Mensch, jetzt pass doch mal besser auf, Erdmute… He, Erdmute, das war ein Scheeeherz, okay?«
»Also, ich will ja wirklich nicht unhöflich sein, aber warum verlagerst du nicht einfach dein Gewicht, statt mich zu zerren und zu drücken?«
»Erdmute, darf ich dich nachher zu einem Getränk einladen?«
Genau. Gewicht verlagern. Das war es. Fantastisch. Es fluppt. Unsere Schwünge werden mit jedem Takt kühner. Ich steuere Erdmute und mich souverän durch die kleinsten Lücken im Getümmel und lächele dabei abwechselnd Vanessa, Ines und sie an. Nun kann das Stück von mir aus gerne noch eine Stunde weitergehen, denke ich mir und werde wieder ein klein wenig vom Geist zum Menschen. Und als hätte das Stück meinen Gedanken verstanden und nicht gebilligt, hört es genau in diesem Moment auf.
»Komm, Erdmute, noch eins.«
»Ich weiß nicht…«
»Keine Lust mehr?«
»Vielleicht später.«
Schwupps ist sie im Halbdunkel verschwunden. Was hat sie nur? Eine zarte Hand legt sich in meine und zieht mich sanft in Richtung eines wohlbekannten Dufts.
»Schöner Mann?«
Ah.
»Vanessa, was hast du gerade gemacht, dass Erdmute so verschreckt geguckt hat?«
»Ich habe keine Ahnung. Komm.«
Schon die ersten Schritte sind wunderbar. Warum ist sie nicht Tänzerin geworden? Das, was sich vorhin in mir gesperrt hatte, mit ihr zu tanzen, ist mit einem Schlag weg. Der Streberscheitel, Gustavo, Ines, Erdmute, die Gesichter fliegen an mir vorbei. Armer Ekkehart. Wenn ich daran denke, dass er mich und Ines in den Tanzkurs gelockt hat, um unsere Ehe zu retten…
»He, ich führe!«
»Ja, hihi, aber in die falsche Richtung.«
»Wieso? Nee, Vanessa, nicht in einem Atombunker. Außerdem…«
»Spießerchen.«
»Hör mal…«
»Schnell, sonst sieht uns Juan.«
»Was hast du eigentlich mit Juan?«
»Schhhhhhhh.«
Sie tangot mich unaufhaltsam in eine dunkle Ecke abseits des Getanzes. Verflixt. Nein. Ich…
Ich – will – nicht!
Aber wie komme ich ohne unangenehme Szene hier raus? Vielleicht eine überraschende Drehung um 180 Grad?
Ha.
…
Na ja, hätte klappen können, wenn Vanessa nicht gleich noch eine zweite 180-Grad-Drehung auf dem anderen Fuß angeschlossen hätte. Okay, Spaß beiseite. Ich werde Vanessa jetzt loslassen und zurückgehen. Ich muss weg. Nachdenken. Lange nachdenken.
»Lulu, husch ins Körbchen.«
»Vanessa, jetzt wart…«
Wir hören beide
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