Wir tun es für Geld
gleichzeitig hastige Schritte hinter uns. Im nächsten Moment drängelt sich jemand grob vorbei. Wir unterbrechen unseren Tanz und sehen zu, wie er in der Ecke verschwindet, die Vanessa ansteuern wollte. Gleich darauf hören wir Geräusche, die uns bis ins Mark erschüttern. Wir weichen Schritt für Schritt zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind, und sehen uns entsetzt an.
»Boa, was hat der nur gegessen?«
»Könnte aber auch ein Virus sein.«
»Wie heißt der eigentlich?«
»Also wir nennen ihn Streberscheitel.«
»Hihi.«
»Komm, wir schauen nach Ines.«
»Ist wohl besser.«
* * *
Kazack!
Huch!
Nichts ist mehr normal. Jetzt erschrecke ich sogar schon vor unserem Toaster. Ich drehe mich zur Küchenzeile um und betrachte den vertrauten Silberkasten. Eigenartig. Es gibt nur wenige Dinge, von denen ich felsenfest überzeugt bin, aber eines davon ist, dass er unerschütterlich gutmütig ist. Und als ich jetzt genau hinsehe, denke ich mir noch, dass er, wenn zwei Toastscheiben aus ihm rausragen, irgendwie aussieht wie ein Hase mit eckigen Ohren. Ich muss mich zusammenreißen.
Wenig später zeigen mir die Krümel auf dem Teller, dass ich Toasts gegessen haben muss. Wirklich mitgekriegt habe ich davon nichts. Klar, kann passieren, dass man beim Frühstück so in Gedanken verloren ist, dass man die Toastbrote nicht mitzählt. Komisch ist nur, dass ich beim besten Willen nicht weiß, ob ich mir überhaupt Gedanken gemacht habe. Und das passiert mir jetzt schon seit zwei Tagen immer wieder. Vielleicht ist es ja wirklich gefährlich, wenn man sich nicht genug auf die Gegenwart konzentriert? Womöglich verschwindet man am Ende einfach in einem Paralleluniversum?
Bevor ich mich anziehe, tanze ich zwei Ochos mit Rechtsdrehung und versuche so meine Aufmerksamkeit zu schärfen. Kurze Zeit später stehe ich trotzdem schon wieder im Mantel da und weiß einmal mehr nicht, wie es dazu gekommen ist. Mit mir stimmt gar nichts mehr. Und es wird immer schlimmer.
Vanessa wollte gestern nach Streberscheitels Kotzattacke im Atombunker auf einmal nicht mehr mit mir tanzen. Und nicht nur das, sie wollte mich nicht einmal mehr anschauen. Ich kenne das von ihr. Ihr reichte schon immer der kleinste Anlass, um mich aufs Abstellgleis zu schieben, manchmal für ein paar Tage, manchmal für Wochen, manchmal sogar für viele Monate. Ich hatte dann immer viel Zeit, darüber zu grübeln, was ich falsch gemacht habe, aber es gab natürlich nichts. Die Abstellgleis-Aufenthalte waren in Wirklichkeit nur dazu da, dass ich jedes Mal in Dankbarkeit zerfloss, sobald sie sich mir wieder zuwandte. Eigentlich eine große Gemeinheit, aber jetzt ist es genau das Richtige für mich. Ich muss nachdenken, ich muss dieses taube Gefühl loswerden, ich muss Ines… Ich muss zur Arbeit.
Während ich die Treppe hinuntergehe, denke ich nach. Was könnte mir helfen? Ein Vollrausch? Eine Stunde mit Tigerchen auf dem Schoß? Bei voller Lautstärke Albert Ayler hören? Ein viel zu schwieriges Rezept kochen? Bernd verdreschen? Einmal auf… Äh, habe ich gerade Bernd verdreschen gedacht?
»Ja guten Tag, Herr Fink.«
»Hallo, Frau Kohlmeyer.«
»Lange nicht mehr gesehen. Geht es zur Arbeit?«
»Ja, ja, muss mich sputen.«
»Na, dann wünsche ich Ihnen eine angenehme Schicht.«
»Ihnen auch… Ach, Frau Kohlmeyer, fällt mir gerade ein, Sie hatten doch neulich von diesem Entspannungsbad erzählt. Könnte ich da vielleicht doch mal mitkommen?«
* * *
Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob die Kollegen mich dafür hassen, dass ich Mitarbeiter des Quartals geworden bin. Frau Gruber von den Haushaltswaren hat jedenfalls seitdem kein Wort mehr mit mir gesprochen, und Herr Bilgenhorst vom Weinregal guckt mich nur noch mitleidig an. Meine ausgedehnten Spaziergänge durch die anderen Abteilungen machen nun längst nicht mehr so viel Spaß wie früher. Ich verbringe deswegen viel mehr Zeit bei den Unterhosen als üblich. Die schwarzen Zeitlöcher, die mich im Moment heimsuchen, kommen mir da natürlich ganz gelegen. In einer Stunde ist meine Schicht schon wieder vorbei, und ich habe immer noch das Gefühl, als wäre ich eben erst gekommen. Ich weiß nicht, wie viele Kunden ich bedient habe, ich weiß nicht, wie viel ich verkauft habe, ich habe keine Ahnung, ob ich überhaupt mit jemandem gesprochen habe. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht vor den Überwachungskameras herumgetanzt bin und den Kollegen von der Security Stinkefinger gezeigt
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