Wir waren nie Freunde
Militärhelm mit dem grünen Netz auf dem Kopf und sieht aus wie ein Zugführer. Ich habe nicht mehr das Gefühl, noch in Schweden zu sein. Das hier ist eher wie ein Kriegsfilm, wie ein Film aus Vietnam. Ich habe ein Farnblatt in der Hand, um die Fliegen wegzuwedeln, die sich auf die rote Wunde an meinem Bein setzen wollen. Aber es kommen gar keine, vielleicht ist es ja noch zu früh. Vielleicht gibt es auch gar keine Fliegen hier im Wald.
Philip benennt die Vögel, die wir hören.
»Schwanzmeise!«
Ich zähle sieben weiße Vögel mit langen Schwänzen. Sie schwirren von Baum zu Baum. Über einem kleinen Sumpffoch sehen wir einen Hühnerhabicht mit schnellen Flügelschlägen heranfliegen.
Wir folgen einem Bergkamm. Tove stolpert, als wir über den Berg gehen. Ich fange sie am Arm auf. Ich ziehe sie zu mir, und sie legt ihre Arme um mich und kuschelt sich dicht an mich. So bleiben wir eine Sekunde lang stehen – oder eine Ewigkeit. Dann beeilen wir uns, die anderen wieder einzuholen.
Wir klettern über ein Sumpfloch. Balancieren von Grasbüschel zu Grasbüschel. Manny tritt daneben, als sich ein Grasbüschel plötzlich löst und umdreht. Er steht bis zu den Knien im Wasser und flucht laut. Pia-Maria lacht ihn aus.
Als wir die andere Seite erreicht haben, bleibt Philip stehen und zeigt auf die Kiefernkronen.
»Seht nur, wie kahl die sind. Das sind die Auerhähne, die fressen die Nadeln. Im Winter fressen sie so gut wie nichts anderes.«
»Fressen die wirklich die Tannennadeln?«, frage ich, weil ich mir nur schwer vorstellen kann, dass solche großen Vögel sich mit so spärlicher Kost zufrieden geben.
Philip schnaubt verächtlich über mein Unwissen. »Es gibt nichts Nahrhafteres«, sagt er. »Tannennadeln enthalten mehr Vitamin C als Apfelsinen.«
»Stimmt das?«, platzt Tove heraus.
Dann müssen alle einmal Tannennadeln probieren, und wir gehen eine ganze Weile kauend weiter, obwohl Philip sagt, dass man sie lange kochen muss, um die Vitamine herauszubekommen.
Ich betrachte die Kiefern, an denen wir vorbeikommen. An einigen Zweigen sind so gut wie alle Nadeln weg. Die Baumkronen sind durchsichtig, voll blauen Himmels. Plötzlich bleibt Philip stehen. Er hebt den Arm und hockt sich hin. Wir tun es ihm nach. Ich spähe nach vorn und gehe davon aus, dass dort irgendwo ein Auerhahn sein wird, aber dann entdecke ich zu meiner Verwunderung einen Fuchs, der auf einem großen Fels liegt. Die Sonne scheint auf den Fels und lässt seinen roten Pelz feuerrot aussehen. Das sieht schön aus. Das muss schön warm dort sein, denke ich.
Ich schiele zu den anderen. Alle beobachten den schlafenden feuerroten Fuchs. Der liegt vollkommen unbeweglich da, als wäre er tot.
»Ein Fuchs müsste man sein«, flüstert PM.
Philip nickt lachend. Der Fuchs erwacht mit einem Ruck. Er lässt sich hinter dem großen Stein zu Boden gleiten und ist vom Wald verschluckt, noch ehe wir recht begriffen haben, wie es zugegangen ist.
Philip lacht noch lauter. Ich meine zu verstehen, was mit ihm los ist. Ihm sind diese Tiere nicht so wichtig. Hasen und Füchse, die zählen gar nicht. Jedenfalls nicht so wie Vögel.
»Wartet nur«, sagt er. »Wartet, bis wir die Auerhähne sehen.«
Stammt die Welt aus einem Vogelei? Manny klagt über Blasen an den Füßen. Er zieht einen Stiefel aus, gießt das braune Sumpfwasser aus, das einen muffigen Gestank verbreitet.
»Oh Scheiße«, sagt er.
Philip steckt mit seinem gesamten Oberkörper in einer dichten Jungkiefer. Er bleibt so lange darin stecken, dass ich mich langsam wundere, dass sich alle wundern. Was ist los, Philip? Was hast du da gefunden?
Als er wieder herauskommt, glänzen seine Augen. Es funkelt in ihnen in dieser Art, wie ich es mag. Ich sehe den wahren Philip. So mag ich ihn.
»Ein Singdrosselnest«, sagt er. »Ein Singdrosselnest mit fünf blauen Eiern drin. Komm, guck dir das an, Kim. Es gibt nichts Schöneres als Singdrosseleier. Das hier ist der Sinn von allem. In diesen Eiern ist die Antwort auf alle Fragen.«
Ich tue, wie er mir sagt, schiebe vorsichtig den Kopf nach seinen Anweisungen hinein, sehe zuerst gar nichts, nur Dunkelheit, sich wiegende Schatten und Tannennadeln, die mir die Wange zerkratzen. Dann entdecke ich das Nest. Eine lehmgepolsterte Schale, die in einer Astgabel hängt. Und in ihr liegen tatsächlich fünf blaue Eier. Der Schatten unter den grünen Kiefernzweigen verleiht ihnen eine dunkelblaue Farbe. Ja, Philip, philosophiere ich. Das ist wirklich verdammt
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