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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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Sondern Karin Boye. In der Schule arbeite ich gerade über sie.
    Ihre Gedichte bleiben lange in meinen Gedanken, kommen immer wieder zurück. Ich versuche mit Tove darüber zu sprechen. Ich sage etwas in der Richtung, dass gute Poesie immer echt ist, dass man es in sich selbst hören kann, dass es wahr ist. Aber sie schüttelt nur den Kopf und erklärt, sie würde gar nicht kapieren, wovon ich eigentlich rede. Um ehrlich zu sein, das tue ich selbst ja kaum.
    »Hör jetzt auf, Kimmi«, sagt sie mit einer fast zeternden Stimme, die überhaupt nicht zu ihr passt.
    Schweigend gehen wir weiter. Die Sonne scheint kräftig und blendend. Ich kann fast den Abgrund spüren, der sich zwischen uns geöffnet hat. Wir sind nicht mehr die Gleichen wie vor zehn Minuten, wie in der Nacht, als die Auerhähne für uns balzten. Wir denken daran. Zumindest ich. Sie auch? Ich weiß es nicht. Sie denkt bestimmt, dass ich so ein Poesieidiot bin. Vielleicht existiere ich gar nicht in ihrem privaten Universum. So muss es wohl sein, wie könnte sie mich sonst behandeln, als wenn bestimmte Dinge gar nicht passiert wären.
    Tove bleibt am Rand einer kleinen Moorfläche stehen und holt ein Tablettenröhrchen aus der Jackentasche. »Warte mal«, sagt sie.
    Sie hockt sich hin, füllt die rechte Hand mit Wasser, stopft sich zwei Tabletten in den Mund, zerkaut sie und führt die mit Wasser gefüllte Hand an den Mund. Sie verzieht das Gesicht.
    »Wie geht es dir?«, frage ich.
    Sie gibt keine Antwort, schluckt stattdessen noch zwei Tabletten. Dann steht sie auf und schüttelt das Röhrchen. Es klappert hohl.
    »Kann man so viele auf einmal schlucken?«, will ich wissen.
    »Man muss.» »Ist es die Sonne?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Ich schaue sie an. Sie streicht mit den Fingerspitzen am linken Auge entlang.
    »Tun dir die Augen weh?«
    »Nein, nicht direkt weh. Es ist, als ob meine Haut voll mit Ameisen wäre. Überall kribbelt es. Und daraus werden meistens richtige Kopfschmerzen.«
    »Na, hoffentlich helfen die Tabletten«, sage ich.
    Ich weiß nicht, wie lange wir gegangen sind. Wir haben genau darauf geachtet, uns nur in eine Richtung zu bewegen. Nach Westen hin, wie ich annehme. Wir haben versucht, den Kurs zu halten. Ich glaube, wir laufen schon ein paar Stunden. Aber jetzt müssen wir einsehen, dass wir uns verlaufen haben. Wir haben das Wegende verfehlt.
    Wir sehen nichts, an das wir uns erinnern können. Der Wald hat seinen Charakter verändert. Er ist dichter geworden, mit mehr Gebüsch, feuchter. Es ist anstrengender, voranzukommen. Wir sind klitschnass von den Zweigen, die sich an unserer Kleidung abstreifen. Die Sonne ist hinter dunklen Wolken verschwunden. Das Aprilwetter ist durch ganz normales graues Wetter ersetzt worden, es ist kälter, wieder Winter ohne Frühlingshauch. Ein kühler Wind flüstert uns etwas zu, und das besonders, wenn er unser Gesicht trifft.
    Die ganze Zeit über haben wir nicht ein Geräusch gehört. Keinen Vogel, kein Tier. Kein Pfeifen oder Rufen von Philip. Der Wald ist stumm, als wäre jedes Leben fort, alles außer uns beiden, alle außer Tove und Kim. Ich denke an meine Geliebte, an Tove, my love. An die ungeduldige, ungesetzliche Tove.
    An diesen Nachmittag im letzten Winter, als du bei Elisabet im Seven etwas kaufen wolltest. Und ich war auch da und sah, wie du an den Regalen mit den Süßigkeiten standst und zwischen den Tüten mit Weingummi etwas aussuchtest. Eine Tüte glitt in deine Jacke, und dann nahmst du noch eine und noch eine dritte. Und du hast den Jungen nicht gesehen, der am anderen Ende des Ganges stand und dir zusah, obwohl er so tat, als würde er eine Zeitschrift lesen. Du bist weitergegangen. Dann sah ich dich an der Kasse. Am CD-Ständer. Du standst davor. Man konnte nicht sehen, was du da tust. Aber ich zählte die Verpackungen, die deine Finger von dem Ständer wegzauberten: eine ... zwei ... drei. Dann schautest du auf, warfst mir einen nonchalanten Blick zu. Pass auf, Tove! Er hat dich gesehen!, versuchten meine Augen zu sagen. Aber du hast es nicht verstanden. Das war noch bevor wir einander von den Augen ablesen konnten. Du hast weitergemacht ... vier ... fünf ... sechs. Du hast das ganze Fach geleert. Ich trat dann hinter dich. Stand hinter dir, als du einen Liter fettarme Milch bezahlt hast, zwei Dosen Bier, Pripps Blau, und eine Packung gemischtes Hack.
    Ich folgte dir hinaus durch die Türen. Denn ich wusste, dass er dich dort fassen würde. Ich hörte Schritte hinter meinem

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