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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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protestiert, etwas, das zu spüren ist. Das Blickfeld weitet sich: Da liegt das Dunkle. Ich erkenne einen kleinen Körper. Er ist teilweise nackt, als wäre ihm die Haut abgezogen worden. Die hängt ihm in Fetzen vom Körper. Ich sehe, dass der Körper lange Ohren am Kopf hat.
    »Ein Hesa«, denke ich. »Das ist ein toter Hesa.« Plötzlich wird mir klar, dass hier zwei Hesan liegen. Einer, der ist tot. Ein anderer, der bin ich.
    Wieder drehe ich den Kopf. Langsam, ganz langsam. Ich spüre dieses dumpfe Gefühl, weit innen in dem Körper, den ich nicht mehr besitze. Mein Auge guckt auf den Hesa, der ich bin. Es guckt auf das Rote, das der Hesa im Schoß hat. Begreift: Das Rote da, das ist Blut.
    Wieder steigt mir ein Duft in die Nase. »Rauch«, denke ich. Heißt das so? Ich kann zumindest etwas spüren. Das ist doch schon etwas. Das ist der ganze Unterschied. Derjenige, der etwas spürt, der lebt. Ich begreife endlich:
    »Der andere Hesa, der ich bin, er ist nicht tot. Er hat sich nur tot gestellt.«
    Die Zikaden! Ich muss sie sehen. Sie sind so laut, es müssen so große Zikaden sein, wie ich sie noch nie gehört habe. Die Luft über den Hesan erbebt vor Lärm, von den schnellen Flügeln, die die Luft peitschen. Warum peitscht man so viel die Luft? Um Wolken zu machen? Heißt das Wolken? Ich erkenne das Wort nicht wieder. Ich weiß nicht, wie man Wolken macht.
    Ich denke auch noch: »Dieser kleine verletzte Hesa braucht Pflege. Er ist ganz blutig. Besonders am Bauch. Er muss sich da ziemlich verletzt haben.« Die Augen des Hesan sehen einen spitzen Stock, der neben ihm liegt. »Kann der den Hesa so verletzt haben?«
    Was sehen die Augen des Hesan noch, jetzt, wo sie gelernt haben zu gucken? In dieser Richtung nicht viel. Aber vielleicht in der anderen Richtung, aus der der Geruch kommt? Ich drehe den Körper um. Jetzt ist der kleine Hesa tapfer und tüchtig. Er strengt sich gewaltig an und dreht unglaublich langsam seinen Körper. Alles folgt ihm. Die Arme, die es nicht gibt, die langen Beine des Hesan, der Bauch und all das Blut. Nur die Pfütze auf der Erde bleibt zurück.
    Die Augen schauen in die neue Richtung.
    »Das ist ein Feuer«, denkt der Hesa. »Ein Feuer, das erloschen ist.«
    Der kleine, tüchtige Hesa wird so müde, dass er schließlich einschläft. Er schläft lange und sehr, sehr tief. Wieder sieht er das Licht, sieht die anderen Hesan, die ihn wiedererkennen. Er ruft ihnen zu, aber sie antworten nicht mehr. Es scheint, als wollten die den verletzten Hesan nicht kennen. »Aber ich bin es doch«, ruft der Hesa. »Ich bin es, Kim!«
    Mit einem Ruck wache ich auf. Ein gewaltiger Schmerz überfällt mich. Es ist ein Gefühl wie von Eis und Feuer, wie Eis und Feuer jeweils für sich und wie Eis und Feuer auf einmal. Der Kopf ist kurz davor zu explodieren. Vom Rücken zieht ein pumpender Schmerz herauf, der sich in schweren Stößen durch den Körper fortpflanzt. Nur im Bauch spüre ich nichts. Absolut nichts. Da ist es still, rein und ruhig. Ich schaue das Blut an. Auf meinen Händen. Sie sind auf meinem Bauch festgeklebt, haben sich mit meinem Pullover und meiner Jacke verschmolzen. Ich löse sie vorsichtig. Geronnenes Blut löst sich von den Fingern.
    Ich muss den Bauch stützen. Irgendwie muss ich das schaffen. Ich frage mich, wie viel Blut ich wohl verloren habe. Ich überlege, dass ich wohl zum Windschutz hinkriechen und nachsehen muss, ob ich dort etwas Brauchbares finde. Aber ich weiß, das geht nicht. Der Körper will nicht.
    Ich greife nach dem spitzen Stock, der neben mir liegt. Ich bekomme ihn zu fassen und ziehe ihn zu mir heran. Dann versuche ich mit ihm in die Richtung zu angeln. Dort, wo meine Kleidung liegt.
    Ich mache mehrere Versuche. Ruhe mich dazwischen jedes Mal lange Zeit aus. Schließlich kommt das erste Stück zu mir. Ich sehe, es ist ein Strumpf. Der nützt nichts. Ich brauche etwas zum Überziehen. Etwas, das ich fest um den Bauch wickeln kann, damit die Eingeweide nicht herausfallen. Ich entdecke einen BH, der an einem Wacholderbusch hängt. Wieder werfe ich die Angel aus, versuche den Stock etwas zu heben und den Wacholder zu erreichen. Nach einer Weile gelingt mir ein Stoß, dass der Wacholder erzittert. Der BH fällt herunter und bleibt auf meinem Stock hängen. Ich ziehe ihn zu mir. Ruhe aus, schließe die Augen. Bleibe lange Zeit einfach nur liegen. Überlege, versuche es zumindest. Was soll ich tun? Was zum Teufel muss ich tun, damit ich lebendig hier wegkomme?
    Auf allen

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