Wir waren unsterblich (German Edition)
Geister los wird?“, fragte Leo.
„Nee.“ Markus blätterte um. Ein ganzseitiges Foto zeigte ein englisches Pfarrhaus, in dem es spuken sollte. Leo zupfte an meinem Ärmel. „Schreibst du nicht sogar Gespenstergeschichten? Deshalb hast du doch jede Menge von diesen Büchern. Steht es vielleicht in einem anderen?“
„Es gibt da diesen Film“, murmelte Hilko. „Der im Kino lief. Mit dem Mädchen, das vom Teufel besessen war.“
„Der Exorzist“, sagte ich.
Hilko nickte schwerfällig. „Genau! Da hat ein Priester den Teufel vertrieben.“
„Vielleicht reicht es, wenn wir uns einfach von dem Bauernhof fernhalten“, wandte ich ein.
Markus hob den Finger. „Du vergisst aber, dass der Lichtlose Charlie hier auf der Straße killte. Er könnte doch auch zu uns kommen.“
„Was?“, entfuhr es mir. „Hör mit diesem Unsinn auf.“
„Für mich spricht alles dafür.“ Markus betrachtete hingebungsvoll ein paar weitere Gespensterfotos. „Oder glaubt ihr etwa, dass alles in diesen Büchern erfunden ist?“ Einen Moment lang verspürte ich den Drang, ihn zu schlagen.
„Hört mal“, begann Hilko mit schwerer Zunge. „Es passieren schon ziemlich komische Sachen. Meine Mutter erzählte mir mal, dass ihr Vater in der Nacht nach seinem Tod an ihrem Bett stand. Sie meinte, er wollte sich wohl verabschieden.“ Hilko stand abrupt auf. „Kommt! Wir holen Töffel.“ Er drehte sich nach uns um. „Und noch was: Ich halte es für keine so gute Idee, ihm das Foto zu zeigen. Er dreht sonst noch durch.“ Er lächelte schief und unpassend. Ich begann mir Sorgen um ihn zu machen. Vielleicht verkraftete er die Sache viel schlechter, als wir glaubten.
Im Flur des Hochhauses mussten wir einen Moment auf den Aufzug warten. Als sich die Tür öffnete, fühlte ich mich an jenen Tag zurückversetzt, als uns der Hausmeister auflauerte. Doch heute stand nicht Grundmann in der Kabine. Ein kleiner Junge mit einem Fußball unter dem Arm drückte sich an uns vorbei. Er sah zu Boden. Er hatte Angst vor uns. Ich wollte ihm etwas Aufmunterndes zurufen, doch da schob mich Markus in den Fahrstuhl.
Töffels Tante öffnete. Sie füllte den Türrahmen wie ein riesiger Korken aus. Aber sie strahlte nicht mehr jene unerschütterliche Selbstsicherheit aus wie bei meinem ersten Besuch. Ich sah es sofort. Ihr Gesicht war verquollen, Tränensäcke hingen unter den Augen. Und ich war mir sicher, dass, wenn ich sie mit dem Finger berührte, nicht mehr gegen Unnachgiebigkeit pikste, sondern in eine teigige Masse. Konnte es sein, dass sie in den wenigen Tagen verfiel? War es möglich, dass sie ein Schwein wie Grundmann tatsächlich geliebt hatte?
„Töffel ist nicht da“, sagte die Tante. „Ich dachte, er wäre bei euch .“ Die Betonung des letzten Wortes drückte ihre Missbilligung für uns aus.
„Wir dachten, er sei krank“, sagte ich eilig, um Hilko zuvorzukommen. Ich wollte nicht, dass sie den Alkohol in seinem Atem roch. „Weil er nicht in der Schule war.“
„Er musste mich zur Polizei begleiten.“ Plötzlich schien sie aufzuleben. Ihre Augen glänzten und sie trat einen Schritt auf uns zu. Ich wich automatisch zurück. „Zur Polizei?“
„Genau! Die riefen nämlich gestern Abend an. Wegen Eugen, unserem Hausmeister. Töffel hat euch doch sicher erzählt, dass er verschwunden ist?“ Die weißen, marmorierten Fleischfalten unter ihrem Kinn zitterten. Wir brummten zustimmend.
„Eugens Wagen wurde gefunden“, fuhr sie fort. „Nur ein paar hundert Meter von hier entfernt. In der Buchenstraße.“
Ich hörte, wie Leo tief Luft holte.
„Das muss man sich mal vorstellen!“, ereiferte sich die Frau. „Die Polizei hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht die Umgebung abzusuchen. Der Wagen wurde durch einen dummen Zufall entdeckt.“
„Wie denn?“, fragte Hilko. Töffels Tante war zum Glück zu sehr in Rage, um sein Nuscheln zu deuten.
„Ein Autofahrer hat den Wagen beim Ausparken angerempelt. Und weil er ein ehrlicher Kerl war, rief er die Polizei an. Die kam irgendwann und stellte fest, dass es Eugens Auto ist.“ Sie stemmte die Arme in die Hüften. „Na, denen hab` ich heute morgen was erzählt! Das ist doch wohl komisch: Warum parkt Eugen tagelang in der Buchenstraße, häh?“
„Keine Ahnung.“ Markus zuckte mit den Achseln. „Aber dann kann er ja nicht weit sein.“
Sie sah uns prüfend an. „Habt ihr Eugen in der letzten Zeit gesehen?“
„Nöh“, sagte Markus.
„Ich kenne ihn ja gar nicht“,
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