Wir wollen Freiheit
selber redet: »Ich bin Biochemiker, ich würde aber auch in einem anderen Bereich arbeiten. Nur in einer internationalen Firma, das wäre schön.« Mohammed Hamid verbeugt sich leicht und überreicht seinen |72| Lebenslauf. Der Ingenieur steckt ihn ein und verspricht zu tun, was er kann. Mohammeds Lebenslauf ist beeindruckend: Vom Kindergarten bis zur Universität, alles auf Englisch und immer ein bisschen teurer, als sein Vater es sich eigentlich leisten konnte. »Und was nützt mir das alles? Nichts. Ich finde keinen Job, der auch nur annähernd meiner Qualifikation entspricht«, sagt er. Der Ingenieur ist gegangen und Mohammed Hamid wird wieder normal. Er schnappt seine Sporttasche und stiefelt in Richtung Basketballfeld. Da findet er sicher ein paar Freunde, schließlich geht es den meisten wie ihm: gut ausgebildet und von den Eltern von Kindesbeinen an auf Leistung gepolt. Dennoch müssen sie nach dem Studium echtes Glück haben, einen Job zu finden, oder eben Verwandte mit Beziehungen, möglichst besseren als denen von Mohammeds Vater. Natürlich wohnen auch Mohammeds Freunde noch bei ihren Eltern. Wer kein Einkommen hat, der kann nicht heiraten, und wer nicht heiratet, bleibt zu Hause wohnen. Punkt.
Das Heiratsalter verschiebt sich immer weiter. Nur die Hälfte der Männer zwischen 24 und 29 hat schon die Richtige gefunden, beziehungsweise genug Geld für die Hochzeit. Bei den Mädchen sind es immerhin 80 Prozent. Allerdings gilt ein weiblicher Single über 30 auch als Sozialfall. Sex ohne Trauschein ist bei Jugendlichen immer noch ein Tabu, allerdings lockert es sich besonders in Kreisen wie dem von Mohammed Hamid. Manche schließen auch »Orfi-Ehen«. Da schreiben Mann und Frau einen Ehevertrag nach islamischem Recht. Er ist nicht beim Standesamt registriert, reicht aber für den Fall, dass das Paar von der Polizei beim Küssen ertappt wird. »Wer mit wem?« ist das Hauptthema, wenn sich Mohammed mit seinen Freunden trifft.
Oft gehen sie zu Ahmed, denn der hat eine Wohnung für sich. Ahmeds Eltern sind Ärzte in Saudi Arabien und haben ihn zum Studium nach Kairo geschickt. Auch in Ägypten |73| gibt es immer mehr Jugendliche, die anders leben wollen. Ahmed erzählt von einem Studienfreund, der die Haare Bob-Marley-mäßig vom Kopf abstehen lässt. »Er macht Fotos und hat eine coole kleine Wohnung in der Innenstadt.« Mohammed bewundert ganz offenbar diese Art zu leben. Für sich will Mohammed allerdings lieber die klassische Variante: Wenn er dann einen Job gefunden hat, wird er heiraten, er weiß auch schon, wen. Dann Kinder und vielleicht später eine größere Wohnung. Auf den Tahrir-Platz zum Demonstrieren ist er natürlich auch gegangen und dort trifft er auch viele andere Jugendliche, denen es geht wie ihm, oder – und das betrifft die meisten – sogar noch viel schlechter.
Marwan Yachya zum Beispiel ist in der gleichen Situation wie Mohammed, nur dass er nicht auf privaten Schulen war und statt einem Uni-Abschluss ein »Diplom Tigara«, ein Handelsabitur in der Tasche hat. Auch dafür haben sich seine Eltern ins Zeug gelegt. Statt wie Mohammed nachmittags im Sportclub zu lungern, fährt Marwan Tuk-Tuk. Sein Vater hat vor drei Jahren ein solches dreirädriges Motorradtaxi gekauft, als Einkommensquelle für die Männer der Familie. Damit brettert Marwan durch die engen Gassen von Boulak al Dakrour, eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. »Hier ist es so schmal, dass man mit einem PKW ständig stecken bleibt, außerdem sind den meisten die Taxis zu teuer«, sagt er. Wenn er einen guten Tag hat, macht er umgerechnet 12 Euro. Tuk-Tuk fahren ist zwar anstrengend, weil man ständig durch Schlaglöcher holpert, aber es ist lustiger als die meisten anderen Freizeitbeschäftigungen. In Boulak al Dakrour gibt es keine Jugendclubs oder Sportanlagen. »Man kann ins Café gehen und ab und zu gehen wir auch mal in die Stadt und machen einen drauf«, sagt er. Der größte Luxus ist ein Cappucino von Beanos Café im vornehmen Nachbarviertel Mohandessin für umgerechnet 2 Euro.
|74| Leisten kann er sich das aber nur, wenn es ihm gelingt, eine ganze Woche lang nicht von der Polizei geschnappt zu werden. Tuk-Tuks sind in seinem Stadtteil nicht erlaubt. So sind die schätzungsweise 250 Tuk-Tuk-Fahrer ständig auf der Flucht. Nimmt die Polizei das Tuk-Tuk weg, kostet es umgerechnet knapp 10 Euro, es wieder auszulösen. Die Polizisten sind aber auch bereit, ein Auge zuzudrücken. Der
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