Wir wollen Freiheit
Preis hierfür liegt bei drei bis fünf Euro. Ähnlich korrupt ist auch das Tankstellenwesen: Das 8 8-Oktan -Benzin für die Tuk-Tuks wird zumeist mitten in der Nacht geliefert. Manche Jugendliche haben Glück und passen die Lieferung ab. Den Rest kaufen Zwischenhändler auf und verticken es dann zum doppelten Pries an die Jugendlichen.
Marwan Yachya geht voran eine dunkle Treppe hinauf. Unter den Sohlen knirscht Abfall. Es riecht nach Katze. Seine Mutter macht auf: »Oh, du hast Besuch mitgebracht«, sagt sie und zupft schnell am Deckchen auf dem Fernseher. Die Familie hat zwei Zimmer, Wohnzimmer und Küche. Marwans Vater arbeitet im Agrarministerium und seine Mutter in der Finanzverwaltung. Gemeinsames Einkommen: 180 Euro. Das muss reichen für Marwan, seine beiden Brüder und die Schwester. Diese, sie heißt Alina und ist 23, sitzt an einem Schreibtisch im Zimmer der Brüder. Sie geht in eine Hotelfachschule und nachmittags ist sie zu Hause. »Nee, ich bin nicht zu Hause, ich bin auf Facebook«, korrigiert sie. Alina trägt Kopftuch und reizt die Grenzen dessen aus, was ihre Mutter erlaubt. Mehrere Lagen, unter dem Kinn gebauscht: »Natürlich trage ich es, weil ich gläubig bin, aber es soll ja trotzdem gut aussehen«, sagt sie. Bisher hat sie viel Zeit auf religiösen Webseiten verbracht, aber seit die Jugendrevolution erst das Internet und dann die Wirklichkeit am Nil erobert hat, hat sie anderes zu tun. Sie weiß, dass alle hoffen, dass sie bald heiratet. Ihre Brüder haben das Zimmer schon verplant. »Nein, ich bin natürlich nicht auf der Suche nach einem Ehemann«, |75| korrigiert sie vorwurfsvoll. »Das wäre ganz ungehörig. Der Ehemann muss mich suchen.« Dazu kommen die jungen Männer mit ihrer Mutter zum Besichtigungstermin. Es wird geprüft, ob man zusammenpasst und dann geht es auch ziemlich schnell ums Finanzielle. Eine Familie zu gründen ist teuer. Eine Mietwohnung in Boulak kostet leicht 30 Euro im Monat. Dazu die Möbel, Kücheneinrichtung und die Hochzeitsfeier. Wieviel zahlt der Bräutigam, was muss die Familie der Braut dazulegen? Solche Termine sind mindestens genauso peinlich wie das, was Mohammed beim Mittagessen im Club über sich ergehen lassen musste.
In Ägypten ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter 25. Sie brauchen Ausbildung, Jobs, Wohnungen und stellen so ihre Regierung vor riesige Herausforderungen. Im Frühjahr 2010 stellte die Staatssekretärin für Familie und Bevölkerung Moushira Khattab eine Jugendstudie vor. Das war etwas Besonderes, denn Daten über die Lebensbedingungen gelten als so heikel, dass die Regierung sie bis dahin lieber unter Verschluss hielt und unabhängige Befragungen behinderte. Tatsächlich reichen zwei Zahlen, um die Misere der Jugendlichen auf den Punkt zu bringen: So hat knapp ein Drittel der 15- bis 2 9-Jährigen ein »Diplom-Fachabitur« in der Tasche. Es gilt als guter Abschluss, doch die Diplomierten machen die Hälfte der Arbeitslosen aus. Ebenso dramatisch sind die Berufsaussichten für Hochschulabsolventen. Sie stellen 10 Prozent der Jugendlichen, aber ein Viertel der Arbeitslosen.
Das führt zu dem Gefühl, betrogen worden zu sein. Seit Präsident Nassers Zeiten galt das ungeschriebene Versprechen, dass jeder Hochschulabsolvent eine Arbeitsstelle im Staatsdienst bekommt. Es ließ sich nicht lange halten, doch dann boomte die Wirtschaft am Golf und Ägypten wurde Exportnation für Akademiker. In den 90er Jahren legte die Regierung große Landwirtschaftsprojekte auf: Absolventen bekamen ein Stück Wüste mit Anschluss an einen |76| Bewässerungskanal. Neuerdings können sich nun Jungakademiker um subventionierte Kioske bewerben und/oder sie fahren Butangasflaschen aus und tragen sie den Kunden in die Küche.
Die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren insgesamt liegt bei 16 Prozent. Allerdings liegt dem Bericht der Staatssekretärin ein sehr gnädiger Arbeitslosenbegriff zu Grunde: Wer in der Woche vor der Befragung auch nur eine Stunde gearbeitet hat, fällt nicht darunter. Inoffizielle Schätzungen gehen von rund 30 Prozent Jugendarbeitslosigkeit aus. Wen wundert es da, dass jeder dritte junge Mann auswandern will. Die reichen Golfländer, allen voran Saudi Arabien sind ihr Ziel. Nur 12 Prozent der Auswanderungswilligen zieht es nach Europa, davon gerade einmal zwei Prozent nach Deutschland.
Ägypten hat ein Armutsproblem. Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben mit weniger als zwei
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