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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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zurzeit nur fünf Frauen. Die Medien behandeln Frauen in der Politik immer noch ein wenig als Kuriosum, oft wird ihre Weiblichkeit seltsam betont – und das nicht einmal nur von männlichen Journalisten. Kaum ein Porträt über eine junge Politikerin, das ohne eine Beschreibung ihres Aussehens auskommt. Erstaunlich ist, wie oft Frauen – auch solche mit völlig normaler Figur – als «zierlich» beschrieben werden, gerne garniert mit der bewundernd gemeinten Feststellung, dass trotzdem ganz schön viel Power in der Betreffenden stecke.
    Der
Spiegel
titelte eine Geschichte über Katja Kipping und Sahra Wagenknecht mit «Süße Katja gegen rote Sahra», die
Süddeutsche Zeitung
brach einen Streit zwischen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Familienministerin Kristina Schröder auf die Formel «Reh gegen Wildkatze» herunter; sind zwei Ministerinnen nicht einer Meinung, dann greifen selbst knochenseriöse Blätter wie die
FAZ
auf die Wendung «Zickenkrieg» zurück – dabei sind Meinungsverschiedenheiten in der Politik nun beileibe keine Ausnahmeerscheinung.
    Wie seltsam gerade der Umgang mit jungen Frauen in der Politik ist, zeigen zwei Artikel, die kurz nacheinander erschienen und in denen die Autorinnen – zwar keine Politikerinnen, aber als Journalistinnen auch dem Politikbetrieb zugehörig – ihre Erlebnisse in Berliner Machtzirkeln schildern. In einem sehr persönlichen Essay berichtet zuerst die
Spiegel-Online
-Journalistin Annett Meiritz im Januar 2013 von ebensolchen Situationen: «Schön ist es nicht, wenn mich ein amtierender Bundesminister zur Begrüßung extra fest an die Taille packt. Oder wenn, wie es eine Volontärin erlebte, ein Spitzenpolitiker nach einem Abendessen ‹Ich vermisse deine Nähe› simst.»
    Sie beklagt, dass das, was bei männlichen Kollegen als ganz normal wahrgenommen wird – ein gemeinsames Abendessen mit einem Informanten etwa –, bei Frauen oft als Flirt missverstanden wird. «Grübeln männliche Journalisten darüber nach, wie oft sie lächeln, wenn sie – sagen wir – Ursula von der Leyen interviewen?»
    Ihre Kollegin Laura Himmelreich vom
Stern
legte eine Woche später nach und beschrieb ein mehr als unangenehmes Treffen mit dem FDP -Spitzenkandidaten Rainer Brüderle in einer Hotelbar. Dieser habe auf ihren Busen gestarrt und gesagt: «Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.» Dann habe er ihre Hand geküsst und sie zum Tanzen aufgefordert. Ihre Bitte um professionelle Distanz habe er gekontert: «Politikern verfallen doch alle Journalistinnen.» Beim Abschied habe er allen anwesenden Männern die Hand gereicht und sei nur bei ihr mit dem Kopf unangenehm nah an ihr Gesicht herangefahren. Schließlich habe ihn eine Mitarbeiterin mit den Worten «Zeit fürs Bett» abgeführt und sich bei der Journalistin entschuldigt.
    Dazu passen auch Schilderungen mehrerer FDP -Frauen, die ihren Parteifreunden ein frauen- und familienfeindliches Klima vorwerfen. Die Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen, Doris Buchholz, bezeichnete ihre eigene Partei etwa als «Männerverein», es habe sogar Anweisungen gegeben, auf Wahlplakaten nur attraktive Frauen zu zeigen – nach dem Motto «Sex sells». Buchholz’ Stellvertreterin Brigitte Susanne Pöpel war kurz zuvor aus der FDP ausgetreten.
    Und auch einige Reaktionen auf Laura Himmelreichs Artikel zeigen, dass ein Bericht über einen alternden Politiker, der sich offensichtlich im Ton vergreift, die unterschiedlichsten Reaktionen provozieren kann. Nicht wenige Politiker und Journalisten unterstellten Himmelreich eine Kampagne, zweifelten ihre Glaubwürdigkeit an, taten das Erlebte als Lappalie ab, verwiesen auf die Vertraulichkeit von Hotelbar-Gesprächen und argumentierten irgendwie schwammig: Politikberichterstattung sei nun mal kein Zuckerschlecken, solle sie sich halt wehren oder einfach nicht spätnachts an irgendeiner Hotelbar herumhängen. Vereinzelt wurde Himmelreich sogar nach ihrer Kleidung an bewusstem Abend gefragt oder schlicht darauf hingewiesen, dass der
Stern
, in dem die Geschichte erschienen war, selbst ein äußerst sexistisches Blatt sei. Da ist ja sogar was dran – das Magazin schafft es schon seit Jahren, jeden Gesundheitsschwerpunkt mit einer wohlgeformten nackten Frau auf dem Cover anzupreisen. Doch uns jungen Frauen ging es um etwas ganz anderes.
    Meiritz’ und Himmelreichs Artikel traten im Netz eine ausführliche Diskussion los, junge Frauen aus allen möglichen Jobs erzählten von ihren Erlebnissen.

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