Wir Wunderkinder
mit dieser Einstellung immer nur zu einer bescheidenen Existenz brachte.
Der Putschist Polterzeh hielt unsere Stadt ein paar Tage lang in Atem. Durch schwarzweißrot gerandete Plakate verkündete er der Öffentlichkeit, daß er sich der nationalen Revolution des Generallandschaftsdirektors und jetzigen Reichskanzlers Kapp angeschlossen habe und für Ruhe und Ordnung in der Stadt sorgen werde. Er warnte vor Zusammenrottungen, gegen die er mit der blanken Waffe vorgehen werde. Der Aufruf war unterschrieben: »Polterzeh, Gendarmerie-Oberwachtmeister.«
Am Abend des gleichen Tages noch ritt Polterzeh, um die zusätzlichen Sterne des Oberwachtmeisters bereichert, langsam durch die Hauptstraße. Einige Burschen, die sich an der Rathausecke zusammengerottet hatten, um sich mit ihren Mädchen zu treffen, trieb er auseinander und ins Kino, wo sie sich die dritte Fortsetzung des Films ›Das indische Grabmal‹ ansahen.
»Was aber ist aus Tritz geworden?« fragte man sich in der Stadt.
Ohne Widerstand zu leisten, hatte er sich von Polterzeh die beiden Sterne von den Schulterstücken trennen lassen, die dieser für seine selbsttätige Rangerhöhung brauchte. Da er es aber abgelehnt hatte, seinen derzeitigen Eid zu brechen und der Kappregierung als simpler Wachtmeister weiter zu dienen, mußte er einen freiwilligen Hausarrest für die Dauer der ungeklärten Lage auf sich nehmen. Als Gewerkschaftssekretär Milbitz bei ihm erschien und ihm den Generalstreik der gesamten Arbeiterschaft ›bis zur Brechung des nationalistischen Terrors des Polterzehklüngels‹ versprach, lehnte Tritz diese Hilfsstellung ab. Er wollte auch mit den Sozis nichts zu tun haben, bekannte er in schöner Offenheit und ließ sich von seiner Frau Klöße kochen, deren Genuß ihm sonst oft durch unvermutete dienstliche Alarme beeinträchtigt wurde.
Der Kapp-Putsch brach, wie man weiß, sehr bald zusammen, die legitime Regierung kehrte aus Stuttgart nach Berlin und Tritz wieder in seinen Sattel zurück. Die beiden Gendarmen tauschten ihre Sterne wieder aus, und dank der unbegreiflichen Langmut des älteren Kameraden und der Reichsregierung wurde ein gegen Polterzeh anhängig gemachtes Verfahren nach kurzer Zeit niedergeschlagen.
Die Erbitterung über seine Degradierung fraß in Polterzeh dreizehn Jahre lang weiter. Im Jahre 1933 konnte er infolgedessen einem neuen Regierungssystem eine sehr niedrige Parteinummer vorweisen, die ihn umgehend zum Gendarmerie-Oberkommissar in der Hauptstadt werden ließ. Als erste Amtshandlung degradierte er seinen früheren Vorgesetzten Tritz, der eben wieder einmal loyal seinen Diensteid geschworen hatte, zum Wachtmeister und setzte die Haferration für alle Gendarmeriepferde herab. Er selbst fuhr jetzt in einem schwarzen Dienstwagen und brachte es allmählich zum Oberregierungsrat in einem Sicherheitshauptamt – möglicherweise sogar dank der Protektion von Bruno Tiches, obwohl sich in dessen Tagebüchern kein entsprechender Hinweis findet.
Wachtmeister Tritz, der nunmehr, auf einem ziemlich abgemagerten Gaul, unserer Stadt kein sehr imponierendes Bild deutscher Wehrkraft bot – man entschädigte sie dafür bald durch die Anlage eines Militärflugplatzes –, wurde in der Folgezeit ›auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‹ wegen politischer Unzuverlässigkeit pensioniert. Diese Entlassung traf ihn um so schwerer, als er sich selbst immer für zuverlässig gehalten hatte. Er hätte auch insofern die Möglichkeit bekommen, in schon sehr vorgerückten Jahren diese Zuverlässigkeit erneut zu beweisen, als ihn 1945 die Besatzungsmacht, unter Ernennung zum Oberwachtmeister, wieder in die Landgendarmerie zurückberief. Tritz hatte auch bereits seinen neuen Beamteneid geschworen, als man ihm, zu seinem Entsetzen, statt eines Pferdes ein Motorrad als amtliches Beförderungsmittel zuwies.
Von einem Pferdesattel auf einen Motorradsattel umzusatteln, vermochte nun allerdings auch ein so sattelfester Beamter nicht, weshalb er sich für immer in den Ruhe- und Schmollwinkel der Pensionierung zurückzog.
Ich habe beide Herren nach dem Krieg in der kleinen Heimatstadt wiedergefunden, als mich das abenteuerliche Schicksal dorthin zurückführte. Zu einer Zeit, da es uns allen – auch Oberwachtmeister i.R. Tritz – sehr schlecht ging, wurde Polterzeh in einem Internierungslager ausreichend ernährt. Nach seiner Freilassung ergab er sich dem Schwarzhandel, wobei ihm einschlägige Erfahrungen seines
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