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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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früheren Berufes sehr zustatten kamen.
    Die beiden ehemaligen Gendarmen gehen sich heute noch aus dem Wege, soweit das bei der Kleinheit unserer Stadt überhaupt möglich ist. Denn es verdrießt den alten Herrn Tritz, daß ihm auch heute der frühere Untergebene um mehr als eine Pferdenasenlänge voraus ist, da er, auf Grund unbegreiflicher Gesetze, als ehemaliger Oberregierungsrat eine wesentlich höhere Pension bezieht als der schlichte, seinem jeweiligen Eid treu ergebene Oberwachtmeister der Gendarmerie.
    Ich weiß nicht, ob die heutige Jugend durch den Anblick eines berittenen Gendarmen noch so bewegt werden kann, wie es einst bei Bruno Tiches und mir der Fall gewesen ist – und ich glaube, man darf auch nicht bedauern, wenn es nicht mehr so ist. Aber um einer gewissen Moral willen, meine ich, müßte man die Geschichte Polterzehs um so mehr in den Illustriertenbericht einzubauen versuchen, als Polterzeh selbst, wie ich hörte, seine Memoiren unter dem Titel ›Dienst unter drei Adlern‹ zu veröffentlichen gedenkt.
    Schon als Warnung für den derzeit amtierenden vierten deutschen Adler sollte man diese rein sachliche Veröffentlichung vorausschicken.

Original-Aufzeichnungen des Bruno Tiches aus den Jahren 1921 bis 1922
    März 1921
    »Jetzt haben die aus meiner früheren Klasse ihr Abitur gemacht. Haben sich, als ob das wunder was wäre. Dabei sehen sie alle ganz blaß und ausgek … {14} aus. R. und Andreas wollen studieren. Da geht der ganze Kram noch mal los. Bis die mal fertig sind, hab ich längst mein eigenes Haus und vielleicht sogar ein Automobil. Da gibt es jetzt schon tolle Dinger. Wir sind neulich mit einem dauernd fünfzig gefahren. Ich hab mich jetzt hauptsächlich auf mexikanisches Öl umgestellt.«
    Juni 1921
    »Mein Vetter Erich ist in Oberschlesien gefallen. Bei einem Freikorps. Das könnte mir fehlen, meine Birne hinzuhalten ›fürs Vaterland‹. Wenn man erst mal im internationalen Kapitalmarkt steht {15} , sieht man, wie das alles verflochten ist und macht solchen Quatsch mit Vaterland und Patriotismus nicht mehr mit.«
    14. Juli 1921
    »Ich hab jetzt ein Mädel in T. Kleines Biest (19). Kann immer nur auf ermäßigte Sonntagsrückfahrkarte (33 1/3 %) zu ihr rüber. Lohnt sich aber.«
    September 1921
    »Unser Bankdirektor ist auch noch einer aus der alten Zeit von vor dem Krieg. So pinselig und umständlich. Neulich hatte ich mich mal um ein paar Tausend verrechnet – machte der gleich eine Geschichte draus! Zwei Tage lang mußte ich nach dem Fehler suchen. Als ob's heute noch auf ein paar tausend Emmchen ankäme. Ich hab's den Alten aber merken lassen, was ich von ihm halte.«
    Ende September 1921
    »Sie haben mir zum 1. Januar gekündigt. Wahrscheinlich hätte ich das selber getan, wenn die's nicht gemacht hätten. Ich bin heute schon so firm in allen Bankgeschäften, daß ich glatt eine eigene Bank aufmachen könnte. Außerdem hab ich ganz hübsch Rücklagen und tu's vielleicht sogar. Ich hab auf ein paar Außenseiter spekuliert, bin an Kupferminen in Südafrika beteiligt und auch sonst an ein paar tollen Dingern. Emmy (21) ist eine ulkige Nummer. Will mal Krankenschwester werden. Von der ließe ich mich auch pflegen.«
    27. Dezember 1921
    »Weihnachten verlief daheim sehr ordentlich. Ich hab Vater für seine Trichinen ein neues Mikroskop gekauft, von Zeiss. Der Alte freute sich, aber es scheint ihn doch zu wurmen, daß ich nun aus der Bank raus bin. Der wird noch mal stolz sein auf mich! Mutter schenkte ich eine Brillantbrosche. Die hat sich vor Begeisterung fast umgebracht. Ich bin sogar am Heiligen Abend mit in die Stadtkirche zur Mette. Der Superintendent hat das ganz hübsch hingekriegt: vom armen, elenden Deutschland, das auf das Weihnachtswunder seiner Erlösung wartet. So was ist ganz tröstlich für Leute, die sich nicht richtig auf die heutige Zeit einstellen können. Übrigens sind doch auch starke Gemütswerte in solch einem deutschen Weihnachtsfest. Wenn man sich ein bißchen die Hörner abgelaufen hat – bei den Mädels und so –, kommt man wieder dahinter.«
    1. Januar 1922
    »Silvester haben wir mal auf die Pauke gehauen. Ich hatte einige Freunde mit ihren Mädels in die Sanssouci-Diele eingeladen. Das gab einen Zauber! Erst lagen sie auf den Tischen, dann drunter. Mitternachts sind wir raus und haben ein paar Raketen losgelassen – eine ins Schlafzimmer von unserm alten Pauker K. Der soll auch mal was vom Leben haben. Vom Stadtkirchturm bliesen sie ›Üb'

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