Wir Wunderkinder
immer Treu und Redlichkeit‹. Das machte einen ganz innigen Eindruck. Auf dem Heimweg traf ich R. Der war auch blau und quatschte mich schräg an. Die Brüder tun immer noch so, als ob man mal miteinander Schweine gehütet hätte. Hab ihm ordentlich Bescheid gestoßen. Tutti (22) hat sich schiefgelacht {16} .«
März 1922
»In Mexiko haben sie irgendeine Schweinerei gemacht. Meine Ölwerte sind futsch. Das ist natürlich ein empfindlicher Verlust. Zum Glück ziehen die Kupferminen wieder an. Auch die Bieraktien stehen leidlich. Mit solchen Dingen muß man im Finanzleben rechnen.«
Ende März 1922
»Seit drei Wochen streiken sie in meinen Kupferminen. Lohnforderungen der Schwarzen. Schöne Sache, wenn die Schwarzen rot werden. Die Aktien fallen rapide. Ich komm immer mehr zu der Einsicht, daß bei den europäischen Völkern die starke Hand fehlt. Seit ich die unangenehme Geschichte mit Rita (24) hatte {17} , komme ich mehr mit gleichgesinnten jungen Männern zusammen. Auch der älteste Meisegeier ist dabei – ein forscher Bursche. Wir sind alle der Meinung, daß diese Republik eine ganz schlappe Sache ist.«
Anfang Mai 1922
»Ich habe beschlossen, daß ich daheim weggeh. Die Spießer gucken einen alle so schief an, wenn man ›keine geregelte Tätigkeit hat‹. Die sollten mal meinen Ärger mit den Papieren haben! Ich hatte doch ganz enorme Verluste und mußte ausgerechnet verkaufen, als die Mark so stark fiel. Das läßt sich schwer ausgleichen. Meisegeier sagt, das sind jüdische Machenschaften. Schade, daß wir hier keine Juden haben – denen hätten wir auch mal ein paar Raketen in die Bude gelassen. Meisegeier hat einen guten Satz geprägt. Er sagt: ›Die Juden sind unser Unglück.‹ Das haut hin. Das ist geradezu eine Parole.«
Ende Mai 1922
»Meisegeier erzählte gestern, er hat herausgekriegt, daß die S. jüdisches Blut haben. Drum machen die auch soviel in Wohltätigkeit – das ist alles das schlechte Gewissen. Der alte S. sammelt Bilder. Lauter langweiliges Zeug, mit Heiligen und so. M. meinte, man sollte denen einfach mal was rausholen. Von der Gartenseite aus ginge das ganz gut, und man könnte sich gesundstoßen. Ich bin aber dagegen. Man muß das alles legal machen.«
13. Juni 1922
»Nächste Woche gehe ich nach München. Dort soll allerhand los sein. Ich mache jetzt eine ganz gute Sache mit. ›Abitur durch Briefkurse‹ heißt das. ›Erfolg hundertprozentig garantiert‹ stand im ›Magazin‹ dabei. Da fällt die ganze langweilige Penne weg. Und für das gesellschaftliche Ansehen ist es doch irgendwie wichtig. Wo ich jetzt soviel Zeit habe, denke ich manchmal an meine Jugend zurück, und wie in Leipzig die Studenten aufgefahren sind bei der Einweihung vom Völkerschlachtdenkmal. Das war ein gesunder Instinkt, daß ich mich damals für die Mützen und Bänder begeistert habe. Bildung ist eine Macht, wenn man die richtige Protektion hat.«
1. Juli 1922
»Seit acht Tagen in München. Höchste Zeit, daß ich aus dem Kaff daheim rausgekommen bin. Das ist ja ein ganz anderes Leben hier. Gestern bin ich mit einem Mädel namens Mizzi (26) heim – hier sagen sie ›Deanderl‹. Die Kruke hat ein Zeug zusammengeschwatzt, ich hab nicht mal die Hälfte verstanden. Das reinste Chinesisch. Doch sonst haben sie wenig Temperament, diese Bayern. Die sind mehr für Bier und Würstchen. Es gibt auch politisch sehr aktive Kreise, aber die bestehen meistens aus Zugezogenen wie ich. Es wird überhaupt in Bayern mehr Deutsch gesprochen, als ich gedacht habe. R. studiert auch hier. Ich hab ihn gestern auf der Ludwigstraße von der anderen Seite aus gesehen, habe aber nicht rübergeguckt. Ich will mit den Bürschchen nichts mehr zu tun haben. Die werden sich wundern, wenn ich mich auch immakulieren {18} lasse. Ich will möglichst viel machen: Volkswirtschaft und Anatomie. Ein gewisser Professor B. {19} führt immer Irre vor. Topsy (28) sagt, das ist wie auf dem Oktoberfest.«
10. Juli 1922
»Die ›Abiturbriefe‹ sind nach der dritten Nummer eingegangen. Dabei mußte ich zehn Nummern vorausbezahlen. Das sind ganz gemeine Betrüger. Aber ich brauch das Zeug nicht. Ich komm auch so zu meinem Ziel. Und fixer. Ich werde mal meine Fühler nach der ›Saxo-Albingia‹ ausstrecken. Schneidige Burschen. Mit starken völkischen Belangen, die uns so not tun. Gestern habe ich meine letzten Aktien verkauft – von der Stadtbrauerei daheim. Ein ganz dreckiges Verlustgeschäft. Aber das sind auch wieder diese
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