Wir Wunderkinder
mit denen der hübschen Evelyna, doch auch etwas anderes, Gefährliches fand.
Karl Meisegeier reichte mir nachlässig eine sehr weiche Hand. Als ich ihn an die gemeinsame Heimatstadt erinnerte, schien er uninteressiert.
In das Gespräch der Tischrunde wurde ich kaum einbezogen. Es vollzog sich in seltsamen Formeln und Schlüsselworten. Auch dort, wo sie in ›Klartext‹ sprachen, hatten diese jungen Männer eine kommandorauhe Art des Umgangs mit der deutschen Sprache, so daß es einiger Aufmerksamkeit bedurfte, bis ich das geheimnisvolle, immer wiederkehrende ›Wewima-amassi‹, als ›wenn wir mal an der Macht sind‹ dechiffrierte.
Um dieses ›einmal an der Macht sein‹ aber schien es hier vor allem zu gehen. Wenn ich recht verstand, wollte man auch mit dem für elf Uhr (»Schlach 23!«) erwarteten Gast darüber reden.
Ab und zu sprach Bruno Tiches mit einer gewissen knurrigen Herzlichkeit zu mir und äußerte die Hoffnung, ich könne ›doch noch auf Vordermann gebracht werden‹. Er bestellte mir Bier und Doornkaat, und ein sanfter Nebel umwölkte mir allmählich die rauhen Männer und hob mich immer mehr auf die Meereshöhe von Davos.
Als Bruno mich endlich aufscheuchte – es sei bereits fünf vor elf! –, merkte ich, daß ich nicht mehr ganz standfest war. Ich fand die Ärmel meines Regenmantels nur schwer und verzögerte so meinen Abgang. Dadurch aber geschah mir die reale Drehtürengeschichte. Was sich dabei in Sekunden abspielte, ist nicht in einem Satz zu erzählen.
Ich war hinter den abschirmenden Filzvorhängen eben in die viergeteilte Tür getreten, als draußen, auf der Gegenseite, ein anderer Mann in sie eintrat. Ich erkannte diesen Mann blitzartig, als wir uns um das erste Viertel gedreht hatten: Das war ›Er‹, nun schon von vielen Bildern bekannt geworden und durch den Blinddarmputsch sogar für eine kurze Frist an die Macht gekommen. Er trug einen Ledermantel, eine Haarsträhne hing ihm in die Stirn, und an den zusammengezogenen Falten darauf erkannte man, daß er sich, wie ein Schauspieler, auf einen großen Auftritt vorbereitete.
Diesen Auftritt verdarb ich ihm. Sei es, daß mir die Doornkaats eine unerhörte Schwungkraft gaben oder daß ich selbst nach einem Auftritt begierig war – ich drehte jedenfalls die Tür so vehement um 360 Grad durch, daß ich wieder im Lokal und der andere auf der Straße stand. In dem Moment, da ich den Filzvorhang zurückschlug, reckten sich mir sämtliche Arme meiner vormaligen Tischrunde straff entgegen.
»Mach, daß du rauskommst«, brüllte mich Tiches an, und eben, als die Mannen ihre Arme hatten sinken lassen, trat der von ihnen Erwartete wirklich ein.
Ihm und ihnen war der Auftritt verpatzt. Aber auch ich machte, daß ich auf die regennasse Straße kam.
Zu meinen beschwingten Schritten sang ich vor mich hin: »Wewima-amassi!«
Es klang wie der Anfang eines Liedes auf Suaheli.
Sehnsüchtig dachte ich an meine Melusine in Davos. Einmal würde sie gesund werden. Dann würden wir heiraten, ganz gleich, ob ich promoviert hätte oder nicht. Nichts mehr von der Art der Davos-Episode dürfte unser künftiges Glück gefährden.
Ich weiß noch, daß ich über solchen Gedanken den Text meines albernen Liedchens ›Wewima-amassi‹ allmählich änderte in ›Wewima-ibessi‹. Was das bedeuten sollte, weiß ich leider nicht mehr.
Ende des ersten Buches.
ZWEITES BUCH
Das Fräulein aus Gilleleje
»Waren Sie in Ihrem früheren Leben mal ein Mädchen?« fragte ich das Fräulein aus Gilleleje eines Tages, nachdem ich mich schon einige Zeit über ihre kurze Bubenfrisur geärgert und sehnsüchtig an Weras goldblonde Welle zurückgedacht hatte.
Kirstens skandinavischer Humor schien nicht ganz mitzukommen.
»Isch bin ein Mädchen«, sagte sie überzeugt, und sie überzeugte später auch mich davon.
Mit dem ›ch‹ hatte sie immer noch die meisten Schwierigkeiten, obwohl sie schon mehrere Monate in München studierte.
Ich weiß nicht, warum mir gerade jetzt diese Episode einfällt. Es liegt wohl daran, daß von 1926 an Bruno Tiches' Tagebücher geradezu sträflich langweilig werden. Das ›Wewima-amassi‹ bleibt das Grundthema seiner Betrachtungen, und es wird 1932 zur Siegesfanfare, als immer neue Wahlen seine Partei aufblähen und ihn selbst in immer höhere Ämter hinaufspülen.
»Ich gehöre nun bald zur Spitze der Hirarchie«, schreibt Pg. Tiches in seiner Neujahrsbilanz 1932.
Sein Deutsch ist nach wie vor mit falsch verstandenen
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