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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Ereignis, der Stern eines Brautpaares in der engen Gasse auf, um sogleich in unserem Restaurant wieder unterzugehen. Wera sah mich ein bißchen wehmütig an. Nie hatte ich so reizend gekleidete Kinder gesehen wie die des Brautgeleites, ungeflügelte Engel in keuschem Weiß bis zu den Spitzen der Stiefelchen.
    Als dicht hinter meinem Stuhl eine Autohupe auflärmte, erschrak ich beim erstenmal noch. Später wußte ich, daß an der Hupe nur ein Fahrrad hing, dessen Besitzer gern ein wenig mehr an lauter Lebenslust in die Gasse bringen wollte.
    Unsere Mahlzeit rundete sich mit herrlichen Früchten, und die Gasse begann ihr Repertoire von vorn zu spielen: Am Fenster erschien wieder der verträumte Zahnarzt und blickte begehrend auf Wera herab. In der Zange hielt er einen Backenzahn, der aufs veronesische Pflaster, den tragikomischen Schauplatz der Jahrtausende, niederfiel und zerschellte. Wir bezahlten, und ich ließ dem Kellner noch drei Lirestücke auf dem Tisch zurück. Aber einer der keuschen Engel war schneller …
    Ich liebte Italien und seine Menschen schon in dieser allerersten Stunde mit einer Liebe, die bis heute unvermindert geblieben ist. Wie natürlich sie sind, und das Leben ist bei ihnen, im Ernsten und im Heiteren, immer ein bißchen wunderschönes Theater!
    Wera und ich wollten schon am nächsten Morgen weiterfahren, um in Neapel das Abendschiff nach Sizilien zu erreichen. Für Rom hatten wir diesmal keine Zeit. Seine 2.700 Jahre waren in unserem Reiseprogramm nicht mehr unterzubringen. Aber Verona wollten wir so gut wie möglich kennenlernen. Wir wählten zu unserer Rundfahrt eine Droschke, deren Pferd uns darum besonders gefiel, weil es zu weißen Ohrenschützern einen hübschen Strohhut mit künstlichen Mohnblumen trug.
    »Würde dir dieses Modell für mich gefallen?« fragte Wera.
    »Wenn du brav bist, kauf ich's dem Gaul nachher ab!«
    Der Wein hatte uns schon wesentlich munterer gemacht, und die italienischste aller oberitalienischen Städte tat's noch mehr. Wir sahen Prunksarkophage und erzene Reiter hoch unter blauem Himmel, Paläste leuchteten marmorbunt, und Dante, sehr weiß auf seinem Sockel, dachte angestrengt über ein Gedicht an Beatrice nach. Auf der Piazza delle Erbe wurden Blumen und frische Kirschen verkauft. Tauben setzten sich auf die Kirschberge und pickten die schönsten Früchte heraus.
    »Wollen wir uns nicht ein Pfund Kirschen kaufen?« fragte ich Wera.
    »Danke«, antwortete sie, »dort hat gerade eine Taube den Gewichtsverlust ausgeglichen.«
    Wir kauften keine Kirschen. Uns überkam eine wonnige Schläfrigkeit, während unser alter Droschkenkutscher mit ariosem Pathos Geschichtszahlen, Künstlernamen und das Gewicht von Denkmälern in die Frühlingsluft sang. Brunnen rauschten. Die Kirchenräume wurden immer größer und großartiger, und man trieb darin mit dem Himmelslicht ein wenig Theaterkunst, indem man es durch farbige Vorhänge filterte. Kirchenorgeln, Drehorgeln. Der Triumphmarsch aus ›Aida‹. Hierher paßte er, auf einen Platz, der nur aus Sonne, Bettlern und Tauben bestand.
    Dann das tiefe Grün von Parks und Gärten jenseits der Etsch. Zypressen, Palmen, Lorbeer. Es duftete nach Leben, Grab und Unsterblichkeit. Und nach Narzissen.
    Eine Glocke begann anzuschlagen.
    »Eins«, zählte ich –, »zwei.«
    Doch mit einem Mal schwatzten der seriösen alten Glocke ihre Kinder in allen Stimmlagen und Tonhöhen dazwischen, ganz undiszipliniert. Die schienen hier nicht, wie bei uns im Norden, in eine Glockenschule zu gehen, wo man sein Tönchen nur aufsagen lernt, wenn man vom Strick gefragt wird. Küssen konnte man zu so etwas beim besten Willen nicht mehr.
    Trab-trab-trab – wieder die Hufe. Mein Kopf sank auf Weras Schulter. Es war wirklich ein bißchen zuviel gewesen seit gestern.
    Doch hielten wir auch diesen Abend noch durch und sahen vor einem Kaffeehaus auf der Piazza Bra den großen Korso an uns vorüberfluten. Italienische Buffo-Oper in bester Besetzung, und die Figuren der Comedia dell'arte dazu! Die Verliebten – die Mädchen mit übermäßig hohen Stöckelschuhen –, die Bramarbasse, der Dottore, Harlekin und Colombine, die nur eben mal als Mummenschanz ein anderes Jahrhundert angezogen hatten – und der Capitano. Viele Capitanos. Diese Bersaglieri waren tolle Burschen, wie von einer Alpenfilmleinwand herabgestiegen. Sie sangen ihre Arie ›bellezza‹, sobald sie im Vorübergehen Weras ansichtig wurden.
    Ja, sie war eine Bellezza, meine blonde

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