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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Licht – die Cookbahn – hielt den Vesuv zusammen. Wehe, wenn er aufspränge! Noch waren die Angstschreie von Pompeji in der Luft. Aber da schwirrten schon Mandolinen, und eine schwelgerische Tenorstimme sang ›Santa Lucia‹. Endlich. Wir faßten uns bei den Händen.
    »Schön, aber kitschig«, sagte ich.
    »Kitschig, aber schön«, sagte Wera.
    Mit dem im Expreßtempo redenden Mann, der die Kabinen verteilte, konnten wir uns nicht verständigen. Wir verlangten zwei Kabinen mit je einem Bett. Er gab uns eine mit zwei Betten nebeneinander. Wir protestierten sittsam. Er führte uns in eine mit einem. Wir protestierten empört. Er zeigte uns, nun schon ein wenig gereizt, eine mit zwei Betten übereinander. Jetzt half kein Protestieren mehr; denn murrendes, müdes Volk drängte nach, und es gab zu wenig Kabinen an Bord.
    »Na schön!« sagte ich zu Wera, und zu dem Kabinenmann:
    »Bello! Bello!«
    Er flötete ›Felicissima notte‹ und schloß nachdrücklich die Tür.
    »Wo schläfst du?« fragte ich.
    »Oben«, sagte meine Traditionsbewußte.
    »Ich schlafe auch oben«, antwortete ich höflich.
    Da deutete sie auf einen Klingelknopf neben der Tür, unter dem, zusätzlich zu drei anderen Sprachen, auf deutsch geschrieben stand: »Glocke für Hülfe.« Dann kletterte sie mit der Anmut eines Eichhörnchens hinauf.
    »Au!« schrie ich, als ich Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte.
    Der Boden der Kabine war heiß vom Maschinenraum. Über mir baumelten Weras Beine.
    Die Bugwelle rauschte, und das Meer wiegte uns sanft.
    »Mittelmeer«, sagte ich genüßlich, »Griechenmeer – Meer des Odysseus.«
    »Glaubst du, daß er es wirklich nötig hatte, so lange fern von seiner Frau herumzukreuzen?«
    »Ich kenne einen Fall, in dem Penelope selbst sechs Jahre wegreiste.«
    »Und die Freierinnen umcircten daheim den Odysseus.«
    Da erzählte ich, homerisch infiziert, die Geschichte des Mädchens aus Gilleleje, und mit poetischer Lizenz retuschierte ich ihr Bild ein wenig: übermäßig lange Beine, strohiges Haar, eine unterkühlte Nordküstenbewohnerin.
    »Wie heißt sie denn?« fragte Wera.
    »Kirsten.«
    »Ein hübscher Name. Man stellt sich eigentlich etwas Apartes darunter vor.«
    »Für ihren Bräutigam reicht es sicher! Er handelt mit Stockfischen.«
    Wie dieses antike Meer die Phantasie beflügelte!
    »Bums doch nicht immer so gegen meine Koje«, rief Wera herunter.
    »Das ist die Maschine«, sagte ich ehrlich. »Die stuckert so.«
    »Nana.«
    »Wart, ich komm' mal rauf und beweis' es dir.«
    Daraufhin sauste Wera rittlings auf der Leiter herunter und hielt ihren Finger auf die ›Glocke für Hülfe‹.
    »Entweder – oder!« sagte sie.
    »Entweder«, antwortete ich.
    Sie spielte wieder Eichhörnchen. Ich kniff sie in die Wade. Sie machte kehrt und lief zum Klingelknopf zurück. Sonderlich viel geschlafen haben wir in dieser Nacht nicht.
    Bei Sonnenaufgang gingen wir an Deck. Noch war die riesige, ostwärts gerötete Himmelskuppel ein wenig blaß, aber das fast unbewegte Meer schimmerte in allen Möglichkeiten von Blau bis Türkis und Violett. Einige schwarzblaue Striche waren ihm aufgesetzt. Einer davon rauchte. Der Stromboli.
    Ich las aus meinem Reiseprospekt vor: »Bald erwartet unser Schiff die Conca d'oro, eine lachende Landschaft, in die Siziliens lebensfrohe Hauptstadt Palermo (417.526 Einwohner) köstlich gebettet liegt.«
    Niemand lachte, als wir in den Hafen von Palermo einliefen. Die Landschaft verbarg sich in Regenschleiern, das Bett der Hauptstadt war naß, und die 417.526 Einwohner schützten sich gegen die niederrauschenden Wasserfluten auf die absonderlichsten Weisen. Regenschirme aller Kaliber sah man, deren älteste Modelle noch auf die sarazenische oder arabische Invasion zurückgehen mochten. Selbst die Hinterbeine der Droschkenpferde gingen unter riesigen Regenschirmen, welche auf dem Kutschbock aufgespannt waren. Faschistische Kleinkinder marschierten in Uniformen und im Eiltempo vorüber und sangen trutzige Liedlein. Wasserblasen blubberten vor ihren Mündern.
    Aus allem machte man hier eine Toga, die man sich über den Kopf zog: aus den riesigen Zeitungen, aus Decken und Bettvorlegern, sogar aus Ofenblechen. Schade, daß unsere Koffer nicht schmiegsam genug waren, sonst hätten wir sie uns um die bedrohten Häupter gelegt.
    Bewunderung nötigte mir allein jener Drehorgelmann ab, der die Lebensfreude Siziliens heroisch demonstrierte, indem er unter einem riesigen Regenschirm sonnige Weisen

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