Wirbelsturm
den Funkraum vor sechs Tagen zugesperrt und den Schlüssel mitgenommen. Die Telefone und Fernschreiber funktionieren natürlich seit Wochen nicht mehr. Wir haben noch etwa 2.000 Mann japanisches Personal hier – Angehörige wurden ohnehin nicht zugelassen. Die Nahrungsmittelvorräte sind sehr gering, und wir haben seit sechs Wochen keine Post mehr bekommen. Wir können nicht gehen und dürfen nicht arbeiten. Wir sind beinahe Gefangene und bekommen sehr große Schwierigkeiten, wenn wir etwas tun wollen. Doch wir sind am Leben, können die Anlagen, die wir bis jetzt errichtet haben, schützen und warten geduldig darauf, daß man uns gestattet weiterzumachen. Es ist eine große Ehre für uns, Sie zu sehen, Kasigi-san, und auch Sie, Captain.«
Scragger hatte die beiden Japaner sich selbst überlassen, weil er die Spannung zwischen ihnen spürte, auch wenn sie sich noch so bemühten, sie zu verbergen. Am Abend hatte er wie immer nur wenig gegessen und sich ein eiskaltes japanisches Bier genehmigt. Dann war er zu Bett gegangen.
Kurz vor Mitternacht, als er noch las, klopfte es leise. Kasigi kam aufgeregt ins Zimmer und entschuldigte sich, weil er Scragger störte, aber er wollte ihm die neueste Nachricht sofort mitteilen. Ein Sprecher Khomeinis in Teheran hatte soeben über den Rundfunk bekanntgegeben, daß sich die Streitkräfte Khomeini angeschlossen haben. Ministerpräsident Bachtiar war zurückgetreten, und der Iran hatte das Joch des Schahs nun endgültig abgeschüttelt. Auf Khomeinis persönlichen Befehl hin sollten die Kämpfe sofort eingestellt und die Streiks abgebrochen werden; die Ölförderung sollte wieder in Gang kommen, Basare und Geschäfte sollten geöffnet werden; die Männer sollten ihre Waffen abliefern und an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Vor allem aber sollten alle Allah für den Sieg danken.
Kasigi strahlte. »Jetzt können wir endlich weitermachen, Gott sei Dank! Jetzt wird sich die Lage wieder normalisieren.« Als Kasigi gegangen war, dachte Scragger darüber nach, wie es jetzt weitergehen würde. Da er dergleichen jedoch in der Vergangenheit auch nie erraten hatte, gab er seine Überlegungen bald auf und schaltete das Licht ab, um zu schlafen.
Am Morgen war er zeitig aufgewacht, hatte grünen japanischen statt seines gewohnten indischen Tees getrunken, dann den Helikopter überprüft, geputzt und aufgetankt, und jetzt war er sehr hungrig. Er nickte dem Wächter, der ihn nicht beachtete, kurz zu und schlenderte zum Hauptgebäude.
Kasigi stand an einem Fenster im obersten Stockwerk. Es gehörte zum Sitzungsraum. Er beobachtete zerstreut Scragger und die 206. Seine Gedanken rasten, und er konnte seinen Zorn kaum beherrschen. Seit Stunden ging er Kostenschätzungen, Berichte, Außenstände und Arbeitsprogramme durch und gelangte immer zu dem gleichen Ergebnis: Sie brauchten mindestens noch ein Jahr und eine weitere Milliarde Dollar, bis sie mit der Produktion beginnen konnten. Er besuchte diese Raffinerie, die nicht in seinen Kompetenzbereich fiel, erst zum zweitenmal.
Hinter ihm saß Chefingenieur Watanabe äußerlich geduldig und wie immer kettenrauchend am großen Tisch. Er hatte während der letzten beiden Jahre die Leitung innegehabt und war seit Beginn des Projekts im Jahr 1971 stellvertretender Leiter gewesen – ein Mann mit großer Erfahrung. Sein Vorgänger als Chefingenieur war vor zwei Jahren an einem Herzanfall gestorben.
Kein Wunder, dachte Kasigi zornig. Vor zwei oder vielleicht schon vier Jahren muß ihm klargewesen sein, daß unser Spitzenbudget von 3,5 Milliarden nicht ausreichen würde, daß es bereits weit überzogen war und daß die Fertigstellungstermine immer unrealistischer wurden.
»Warum hat uns Chefingenieur Kasusaka nicht informiert? Warum hat er keinen Sonderbericht gesandt?«
»Er hat es getan, Kasigi-san«, antwortete Watanabe höflich. »Aber aufgrund der Abmachungen für dieses Gemeinschaftsunternehmen müssen alle Berichte unseren Partnern vorgelegt werden. Das geschieht im Iran immer wieder – zunächst wird es als Gemeinschaftsunternehmen aufgezogen, 50 : 50, unter gemeinsamer Verantwortlichkeit, aber allmählich beeinflussen die Iraner die Sitzungen, die Verträge und die Klauseln, schieben für gewöhnlich den Hof oder den Schah als Ausrede vor, bis sie de facto die Leitung in Händen halten, und dann …« Er zuckte mit den Achseln. »Sie haben keine Ahnung, wie schlau diese Kerle sind – schlimmer als jeder chinesische Geschäftsmann. Sie
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