Wirbelsturm
ihm bestimmten Nachfolger, einen Kalifen. Die Schiiten fanden, daß die Führerschaft in der Familie des Propheten bleiben sollte, und daß nur Ali, Mohammeds Vetter und Schwiegersohn, Kalif sein konnte. Doch die orthodoxen Sunniten meinten, daß ein Führer nur gewählt werden kann. Sie erwiesen sich als die Stärkeren, daher wurden die ersten drei Kalifen gewählt. Nachdem zwei von Sunniten ermordet wurden, machte man Ali doch noch zum Kalifen, der leidenschaftlichen Vorstellung der Schiiten zufolge zum ersten Imam.«
»Sie behaupten, daß er gottähnlich war?«
»Daß er von Gott geleitet wurde, Mac. Nach fünf Jahren wurde Ali ermordet – für die Schiiten war er ein Märtyrer. Sein ältester Sohn wurde Imam, dann aber von einem Sunniten widerrechtlich aus diesem Amt verdrängt. Sein zweiter Sohn, der verehrte, fünfundzwanzigjährige Hussain, trommelte eine Armee gegen den Usurpator zusammen, wurde jedoch mit seinem gesamten Anhang hingeschlachtet. Das geschah am zehnten Tag des Muhrarram im Jahr 650 unserer Zeitrechnung, und sie feiern Hussains Märtyrertod noch heute als ihr größtes religiöses Fest.«
»Ist das der Tag, an dem diese Prozessionen stattfinden, in deren Verlauf die Teilnehmer sich geißeln, Haken in den Körper treiben und kasteien?«
»Ja. Von unserem Standpunkt aus verrückt. Schah Reza hat den Brauch verboten, aber der Schiismus ist eine fanatische Religion, in der das Märtyrertum fest verankert ist. Es wird im Iran mit Hingabe verehrt.«
»Die Konfrontation ist also klar: die Gläubigen gegen den Schah?«
»O ja. Und auf beiden Seiten Fanatismus. Für die Schiiten ist der Mullah der einzige autorisierte Ausleger und Vermittler des Korans, was ihm ungeheure Macht verleiht. Er ist Führer, Vermittler, Gesetzgeber und Richter. Und die größten Mullahs sind die Ayatollahs.«
Und Khomeini ist der Groß-Ayatollah, dachte McIver, während er den blutigroten Himmel über Jaleh betrachtete.
»Mac!«
Er zuckte zusammen. »Entschuldige, ich war mit meinen Gedanken meilenweit weg. Ja?« Er schaute zur Küchentür. Sie war noch immer geschlossen.
»Meinst du nicht, daß du Genny aus dem Iran fortschaffen solltest? Die Situation wird ziemlich mulmig.«
»Sie will um keinen Preis weg. Ich habe es ihr fünfzigmal vorgeschlagen, sie fünfzigmal darum gebeten, aber sie ist störrisch wie ein Maulesel – wie deine Claire. Sie lächelt nur immer und sagt: ›Wenn du gehst, gehe ich auch.‹« Er trank seinen Whisky aus, blickte zur Tür und schenkte sich noch einmal ein. »Sprich du mit ihr, Charlie! Auf dich wird sie hören.«
»Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Stimmt. Die verdammten Frauen. Verdammt eigensinnig. Verdammt, sie sind alle gleich.« Sie lachten.
Nach einer Pause fragte Pettikin: »Wie geht es Scharazad?«
McIver dachte kurz nach. »Tom Lochart hat Glück.«
»Warum ist sie nicht mit ihm auf Urlaub gefahren und in England geblieben, bis sich die Lage im Iran beruhigt?«
»Sie hat keinen Grund dazu. Sie hat dort keine Freunde oder Verwandten. Sie wollte, daß er seine Kinder wiedersieht, und wollte die ganze Geschichte nicht wieder aufrühren, indem sie mitfuhr. Selbst nach einem Jahr hat Deirdre Lochart die Scheidung noch nicht überwunden, außerdem lebt Scharazads Familie hier, und du weißt ja, wie sehr die Menschen hier an ihrer Familie hängen. Sie will das Land erst verlassen, wenn auch Tom abreist, und selbst dann – ich glaube es nicht recht. Tom möchte ohnedies für immer hierbleiben. Genau wie du.« Er lächelte. »Warum bleibst du eigentlich?«
»Solange hier alles normal gelaufen ist, war es der beste Posten, den ich je hatte«, antwortete Pettikin. »Ich kann soviel fliegen, wie ich will, im Winter Ski fahren, im Sommer segeln. Sogar deine Genny ist hier glücklich … war es jedenfalls, bis der Wirbel losging. Claire dagegen hat sich hier nie heimisch gefühlt. Jahrelang hat sie sich mehr in England aufgehalten als hier, damit sie in der Nähe von Jason und Beatrice, von ihrer Familie und unserem Enkelkind sein konnte. Wir sind wenigstens als Freunde auseinandergegangen. Hubschrauberpiloten sollten überhaupt nicht heiraten, sie müssen zu oft umsiedeln. Ich will nicht nach Kapstadt zurück, und ich hasse die verdammten Winter in England.« Er trank sein Bier. »Inscha'Allah«, schloß er. »Alles liegt in Gottes Hand.« Die Vorstellung gefiel ihm.
Das Telefon klingelte vollkommen unerwartet und schreckte sie auf. Seit Monaten hatte man sich nicht
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