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Wirbelsturm

Wirbelsturm

Titel: Wirbelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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Gehsteige hinweg und zwischen den stehenden Fahrzeugen hindurch strömten und sich den von Scheinwerfern angestrahlten Mauern näherten, wurden die Allah-u Akbar- Rufe schneller, und die Marschierenden beschleunigten ihre Schritte. Überraschenderweise fingen die Studenten daraufhin an, sich zurückzuziehen. Lautlos. Die hezbollahis zögerten verblüfft.
    Es war ein friedlicher Rückzug. Bald waren die Protestierer verschwunden, keiner bedrohte mehr die Botschaft, und Mullahs und hezbollahis machten sich daran, den Verkehr zu regeln. Die Umstehenden, die ihre Fahrzeuge verlassen hatten, atmeten erleichtert auf und stiegen wieder ein. Die großen eisernen Tore der Botschaft blieben geschlossen, nur eine kleine Seitentür öffnete sich.
    »Ich hätte wetten mögen, daß es zu einer regelrechten Schlacht kommt«, bemerkte Christian mit trockener Kehle.
    Auch Erikki war überrascht. »Es ist, als hätten sie die hezbollahis erwartet und gewußt, wann und von wo sie kommen. Das Ganze kommt mir wie eine Art Generalprobe vor …« Er unterbrach sich und ging näher ans Fenster. »Sieh mal! Der Mann da in dem Torweg, das ist Rákóczy.«
    »Wo? Meinst du den in der Fliegerjacke, der sich mit dem kleinen Mann unterhält?« Tollonen spähte ins Dunkel hinab. Die zwei Männer standen halb im Schatten; dann gaben sie sich die Hand und traten ins Licht hinaus. Es war tatsächlich Rákóczy. »Bist du sicher, daß …«
    Aber Erikki hatte bereits die Wohnungstür aufgerissen und war schon die halbe Treppe hinuntergelaufen. Flüchtig konnte Tollonen wahrnehmen, wie er den großen Pukoh-Dolch aus der Scheide am Gürtel zog und in seinen Ärmel schob. »Mach keine Dummheiten!« rief er ihm nach, aber Erikki war bereits verschwunden. Tollonen stürzte wieder ans Fenster und sah gerade noch, wie sein Freund aus dem Haus lief und sich durch die Menschen drängte. Rákóczy hatte sich in der Menge verloren.
    Erikki aber hatte ihn im Auge behalten. Rákóczy war 100 Meter vor ihm und bog jetzt in die ehemalige Roosevelt-Allee ein. Als Erikki die Ecke erreichte, erblickte er den Russen nahe vor sich. Rákóczy trat auf die Straße, warf einen Blick zurück und sah Erikki. Ohne zu zögern rannte er weg, schlängelte sich durch die Menge und lief in eine Seitengasse. Erikki raste hinter ihm her. Rákóczy bog in eine noch kleinere Gasse ein, änderte wieder seine Richtung, floh von einem Durchgang in den nächsten, jagte, ohne sich noch zurechtzufinden, durch ein Labyrinth von Gassen und Gäßchen. Atemlos blieb er stehen, als er merkte, daß er in eine Sackgasse geraten war. Schon griff er nach seiner Pistole, als er in einer Ecke doch noch einen Durchschlupf entdeckte. Die Mauern standen auf beiden Seiten so eng beisammen, daß er sie berühren konnte, während er keuchend weiterhetzte. Erikki war nun 20 Meter hinter ihm. Die Wut verlieh dem Finnen neue Kräfte. An der nächsten Ecke aber hielt der Verfolgte jäh im Lauf an und zerrte einen alten Marktkarren quer über den Weg. Noch bevor Erikki ausweichen konnte, krachte er mit voller Wucht dagegen und ging halb betäubt zu Boden. Wutschnaubend rappelte er sich hoch, schwankte sekundenlang benommen, kletterte über das Hindernis, rannte weiter, den Dolch jetzt offen in der Hand. Er bog um die Ecke, doch der Durchgang vor ihm war leer.

Mittwoch
    14. Februar 1979

27
    Evin-Gefängnis: 6 Uhr 29. Das Gefängnis war wie jedes andere moderne Gefängnis – an guten und an schlechten Tagen – grau, düster, von hohen Mauern umgeben und schrecklich.
    An diesem Tag glühte der Horizont in einem seltsamen Rot, zum ersten Mal seit Wochen strahlte der Himmel wolkenlos, und obwohl es noch kalt war, versprach es ein schöner Tag zu werden. Kein Smog. Zur Abwechslung war die Luft rein und frisch. Ein wohlwollender Wind trug den Rauch davon, den Rauch noch brennender Autowracks und Barrikaden, Überbleibsel der gestrigen Zusammenstöße zwischen den jetzt legalen hezbollahis und den jetzt illegalen Loyalisten und Linken, zusammen mit verdächtigen Polizeibeamten und Angehörigen der Streitkräfte.
    Die wenigen Fußgänger, die an den Gefängnismauern, an dem riesigen Tor, das zertrümmert und aus den Angeln gerissen worden war, und an den untätig herumstehenden hezbollahis vorbeikamen, blickten zur Seite und beschleunigten ihre Schritte. Es herrschte nur leichter Verkehr. Ein Lastwagen mit Wächtern und Gefangenen blieb zur Durchsuchung kurz vor dem Haupttor stehen. Die provisorischen Schranken

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