Wirbelsturm
paar Kamele und 30 Pferde und Zuchtstuten – der Stolz der Dorfbewohner. Nitchak Khan wohnte neben der Moschee in einem zweigeschossigen Haus mit vier Zimmern und einem Ziegeldach; es war das größte des Dorfes.
Nebenan stand als modernster Bau das Schulhaus. Tom Lochart hatte es entworfen und McIver im Vorjahr überredet, die Kosten dafür zu übernehmen. Tom und seine Kameraden vom Stützpunkt hatten dort von Zeit zu Zeit Vorträge gehalten, die oft zu Frage- und Antwort-Spielen wurden. Sie wollten gute Beziehungen zu den Dorfbewohnern pflegen, aber auch etwas zu tun haben, wenn nicht geflogen wurde. Die Veranstaltungen waren gut besucht, von Erwachsenen, aber auch von Kindern, die von Nitchak Khan und seiner Frau dazu ermutigt wurden.
Als er jetzt den Hügel herunterkam, sah Gavallan, wie die anderen ins Schulhaus gingen. Der Lastwagen, der die hezbollahis gebracht hatte, war vor dem Haus abgestellt. Dorfbewohner standen in Gruppen herum und beobachteten schweigend die Vorgänge. Die Kaschkai-Frauen trugen weder Schleier noch Tschador, sondern bunte Kleider.
Scot ging die Stufen hinauf und betrat das Schulhaus. Das letzte Mal, als er hier gewesen war, hatte er von Hongkong erzählt. Es war schwer gewesen, seinen Zuhörern zu erklären, wie es in Hongkong aussieht, mit seinen überfüllten Straßen, Taifuns, Eßstäbchen, Schriftzeichen und Speisen, mit seinem freibeuterischen Kapitalismus und dem chinesischen Riesenreich jenseits der Grenze. Scot war froh, daß sie nach Schottland zurückgegangen waren und sein alter Herr die S-G gegründet hatte, die er, Scot, eines Tages leiten würde.
»Sie sollen sich setzen, Captain«, sagte Nasiri. »Da.« Er zeigte auf einen Stuhl an der Rückwand des niedrigen, überfüllten Raumes. Ali-sadr und vier hezbollahis saßen an dem Tisch, der üblicherweise dem Lehrer vorbehalten war. Nitchak Khan und der Mullah saßen vor ihnen. Dorfbewohner und hezbollahis hatten auf Stühlen und am Boden Platz genommen.
»Was ist los?«
»Es ist eine … eine Versammlung.«
Scot sah die Angst, die Nasiri quälte, und fragte sich, was er wohl tun solle, wenn die hezbollahis anfingen, den Mann zu schlagen. Ich hätte Karatekämpfer oder Boxer werden sollen, dachte er verdrießlich, während er versuchte, das Persisch zu verstehen, das der Anführer von sich gab.
»Was sagt er, Agha?« flüsterte er Nasiri zu.
»Ich … ich … Er sagt … Nitchak Khan, wie es im Dorf in Zukunft zugehen soll. Bitte, ich werde es Ihnen später erklären.« Nasiri entfernte sich. Endlich verstummte Ali-sadr. Alle Blicke richteten sich auf Nitchak Khan. Langsam erhob er sich. Sein Gesicht war ernst, und er sprach nur wenige Worte. Selbst Scot verstand ihn: »Wir sind Kaschkai. Und wir werden Kaschkai bleiben.« Er kehrte dem Tisch den Rücken zu und ging zum Ausgang. Der Mullah folgte ihm.
Ein zorniges Kommando des Anführers, und zwei hezbollahis versperrten ihm den Weg. Geringschätzig schob er sie zur Seite, doch dann griffen andere nach ihm. Die Spannung im Raum erreichte einen Höhepunkt, und Scot sah, wie einer der Dorfbewohner unbemerkt hinausschlüpfte. Die Männer, die Nitchak Khan festhielten, drehten ihn herum, so daß er Ali-sadr und den vier hezbollahis gegenüberstand, die wütend aufgesprungen waren und ihn anbrüllten. Den Mullah hatte keiner berührt. Er hob die Hand und begann zu sprechen, aber der Anführer schrie ihn nieder. Ein Seufzen ging durch die Dorfbewohner. Nitchak Khan wehrte sich nicht gegen die Männer, die ihn festhielten; sein Blick ruhte auf Ali-sadr, und Scot empfand den darin sich spiegelnden Haß wie einen körperlichen Schlag.
Der Anführer redete beschwörend auf die Dorfbewohner ein, zeigte mit anklagender Geste auf Nitchak Khan und forderte ihn noch einmal auf, zu gehorchen. »Wir sind Kaschkai«, sagte Nitchak Khan ruhig. »Und wir werden Kaschkai bleiben.«
Ali-sadr nahm mit den vier Beisitzern wieder am Tisch des Lehrers Platz. Abermals zeigte er mit dem Finger auf Nitchak Khan und sagte einige Worte. Die vier neben ihm nickten. Ali-sadr sagte ein Wort, das die Stille wie eine Sense durchschnitt. »Tod!« Er stand auf und ging hinaus, die Dorfbewohner und die hezbollahis mit Nitchak Khan folgten ihm. Scot versuchte, möglichst unbemerkt zu bleiben. Bald war er allein.
Draußen zerrten die hezbollahis Nitchak Khan zur Moschee und stellten ihn dort an die Wand. Der Platz war jetzt leer; die Dorfbewohner waren verschwunden. Nur der alte Mullah war
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