Wirbelsturm
leerstehende, aus einem Raum bestehende Hütte mit Lehmboden und modrigen Teppichen, Azadeh hingegen nahm er in sein Haus auf. Es war ein aus zwei Räumen bestehendes Loch. Keine Elektrizität, kein fließendes Wasser, keine Toilette.
Es war schon dunkel, als eine alte Frau Ross warmes Essen und eine Flasche Wasser brachte.
Er bedankte sich. Sein Kopf schmerzte, und Fieber schüttelte ihn. »Wo ist die Gnädigste?« Die Frau zuckte die Achseln. Ihr Gesicht war durchfurcht, sie hatte Pockennarben und braune Zahnstummel. »Bitte, ersuchen Sie sie, mich zu empfangen.«
Später ließ man ihn kommen. Im Raum des Dorfältesten, in seiner Gegenwart und der seiner Frau und eines Großteils seiner Familie begrüßte er Azadeh mit aller Förmlichkeit – wie ein Fremder eine Dame von hohem Stand begrüßen würde. Natürlich trug sie den Tschador und kniete auf einem Teppich gegenüber der Tür. »Salaam, Gnädigste, sind Sie hei guter Gesundheit?«
»Salaam, Agha, ja, vielen Dank, und Sie?«
»Ich glaube, ich habe ein wenig Fieber.« Ihre Augen sahen sekundenlang vom Teppich auf. »Ich habe Arzneien. Brauchen Sie etwas?«
»Nein, danke.«
Bei so vielen Augen und Ohren war es unmöglich, ihr zu sagen, was er sagen wollte. »Vielleicht darf ich morgen nach Ihnen sehen, Gnädigste. Friede sei mit Ihnen.«
»Und mit Ihnen.«
Sie hatten beide lange gebraucht, um einzuschlafen. Bei Tagesanbruch war das Dorf wach: Feuer wurden geschürt, Ziegen gemolken, Gemüse-Khoresch aufgesetzt. Zur Anreicherung des Eintopfs gab es vielleicht einmal einen kleinen Brocken Huhn, in manchen Hütten ein Stückchen Ziegen- oder Lammfleisch – alt, zäh und ranzig. In guten Zeiten zwei Mahlzeiten am Tag. Azadeh hatte Geld und bezahlte für ihrer beider Essen. Was nicht unbemerkt blieb. Sie verlangte, ein ganzes Huhn in den abendlichen Khoresch der Familie zu geben, und zahlte dafür. Auch das blieb nicht unbemerkt.
»Jetzt werde ich ihm etwas zu essen bringen«, sagte sie, als es schon dämmerte.
»Aber Gnädigste, es ist nicht recht, daß Sie ihn bedienen«, bemerkte die Frau des Kalandars. »Ich werde die Schüsseln tragen. Wir können zusammen gehen, wenn Sie es wünschen.«
»Nein, es ist besser, ich gehe allein, weil …«
»Allah schütze uns, Gnädigste, allein? Zu einem Mann, der nicht Ihr Gatte ist? O nein, das wäre ungehörig, sehr ungehörig. Lassen Sie nur, ich werde es ihm bringen.«
»Danke. Wie es Allah gefällt. Gestern hat er von Fieber gesprochen. Es könnte die Pest sein. Ich weiß, daß Ungläubige oft von Krankheiten befallen werden, die wir nicht gewöhnt sind. Ich wollte Ihnen nur Leiden ersparen. Danke, daß Sie mich schonen wollen.« Alle in der Hütte Anwesenden hatten gestern das schweißbedeckte Gesicht des Ungläubigen gesehen. Alle wußten, wie abstoßend Ungläubige waren, die meisten von ihnen Teufelsanbeter und Hexer. Fast jeder glaubte im geheimen, daß Azadeh behext worden war, zuerst von dem Riesen mit dem Messer, und jetzt von dem Saboteur. Schweigend hatte die Frau des Dorfältesten Azadeh die Schüsseln gereicht und beobachtet, wie die Tochter des Khans durch den Schnee gestapft war.
Jetzt kniete sie ihm gegenüber im Halbdunkel des Raumes, der ein Loch in der Lehmwand als Fenster hatte; kein Glas, nur ein Stück Sackleinwand. Von der Kloake draußen stank es nach Urin und Abwässern.
»Iß, solange es warm ist. Ich kann nicht lange bleiben.«
»Geht's dir gut?« Voll angekleidet hatte er unter der einzigen vorhandenen Decke gelegen und vor sich hingedöst; jetzt war er wieder hellwach. Mit Hilfe von Tabletten aus seiner Überlebensausrüstung hatte das Fieber nachgelassen, aber sein Magen war ernstlich verstimmt. »Du siehst nicht gerade blendend aus.«
Sie lächelte. »Du auch nicht. Mir geht's gut. Iß.«
Er war sehr hungrig. Die Suppe war dünn, aber für seinen Magen genau das richtige. Ein neuer Krampf packte ihn, aber er aß weiter, und der Krampf löste sich wieder. »Glaubst du, wir könnten uns davonschleichen?« fragte er zwischen zwei Schlucken; er bemühte sich, langsam zu essen.
»Du könntest, ich nicht.«
»Was ist mit dem Laster?«
»Ich habe den Dorfältesten gefragt. Der Wagen sei nicht in Ordnung, hat er gesagt. Ich weiß natürlich nicht, ob er gelogen hat oder nicht.«
»Wir können nicht lange hierbleiben. Früher oder später wird eine Patrouille vorbeikommen, oder man wird deinen Vater informieren. Für uns gibt es nur eines: abschwirren.«
»Oder zusammen mit
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