Wirbelsturm
zu nehmen, Berge zu erklimmen, Schluchten zu überqueren. Gewiß, aber vergiß nicht, daß jede noch so lange Reise mit einem einzigen Schritt beginnt. Denk ein wenig chinesisch, ermahnte er sich. Erinnere dich an deine Kindheit in Schanghai und deine alte Amme Ah Soong und wie sie dir den Begriff Joss erklärte: »Joss ist Joss, junger Herr, guter oder schlechter. Manchmal kannst du um guten Joss beten und bekommst ihn auch, manchmal nicht. Aber verlaß dich nicht zu sehr auf die Götter – Götter sind wie Menschen. Sie schlafen, gehen essen, sie betrinken sich, vergessen, was sie zu tun haben, lügen, versprechen und lügen noch einmal. Bete, soviel du magst, aber verlaß dich nicht auf die Götter. Nur auf dich selbst und deine Familie. Und denk immer daran: Die Götter mögen die Menschen nicht, weil sie sie zu sehr an sich selbst erinnern …«
»Natürlich werden wir alle unsere Burschen herausbekommen. Würden Sie bitte mittlerweile zwei Freiwillige ausfindig machen, die die beiden Vögel ausfliegen würden, falls ich den Startknopf für ›Wirbelsturm‹ drücke?«
»Das werde ich sein und entweder Freddy oder Pop Kelly. Ein anderer kann die 212 zu Rudi bringen und bei ihm mitmachen – die haben es ja nicht so weit. Okay?«
»Danke«, sagte Gavallan und hatte ein sehr gutes Gefühl dabei. »Haben Sie mit Tom Lochart von ›Wirbelsturm‹ gesprochen, als er hier war?«
»Na sicher. Er könne da nicht mitmachen, hat er gesagt.«
»Oh.« Das gute Gefühl schwand. »Das wär's dann. Wenn er bleibt, können wir nicht weg.«
»Er wird schon mitmachen, Andy, ob es ihm nun gefällt oder nicht«, beruhigte ihn Starke. »Er muß, mit oder ohne Scharazad. Mit oder ohne, das ist das Bittere. Er kann sich die HBC, Valik und Isfahan nicht einfach abschminken.«
»Da haben Sie wohl recht«, stimmte Gavallan ihm zu. »Aber es ist unfair, meinen Sie nicht auch?«
»Ja. Aber Tom ist in Ordnung. Früher oder später wird er es verstehen. Bei Scharazad bin ich nicht so sicher.«
»McIver und ich wollten mit ihr sprechen. Wir fuhren zu ihr und klopften zehn Minuten lang. Niemand kam zur Tür. Vielleicht wollten sie einfach nicht aufmachen.«
»Das paßt nicht zu Iranern.« Starke zog seine Fliegerjacke aus und hängte sie auf. »Wenn Tom morgen hierher zurückkommt, schicke ich ihn gleich nach Teheran – wenn es noch hell genug ist. Sonst Montag früh.«
»Gute Idee.« Gavallan ging das nächste Problem an. »Genauso wenig weiß ich, was ich mit Erikki tun soll. Ich habe mit Talbot gesprochen – er würde sehen, was er tun könne, sagte er. Dann ging ich in die Finnische Botschaft und sprach dort mit einem Ersten Sekretär namens Tollonen. Er schien mir sehr beunruhigt zu sein – und ebenso hilflos. ›Das ist ein ziemlich wildes Land da oben‹, sagte er, ›und wenn der KGB bei der Geschichte mitmischt …‹«
»Kann denn Azadehs Papi, der Khan, nicht helfen?«
»Da scheint es einen gewaltigen Familienkrach gegeben zu haben. Ich riet ihr, sie solle ihre iranischen Papiere vergessen, an Bord der 125 gehen und in Al Schargas auf Erikki warten, aber davon wollte sie nichts hören. Sie will unbedingt hier auf ihn warten. Ich erinnerte sie daran, daß der Khan sie leicht auch in Teheran schnappen und zurückholen könnte. Ihre Antwort: ›Inscha'Allah!‹«
»Erikki kommt schon wieder, darauf mache ich jede Wette.« Starke war ganz zuversichtlich. »Seine alten Götter werden ihn beschützen.«
»Ich hoffe es.« Gavallan hatte seinen Parka anbehalten. Trotzdem war ihm immer noch kalt. »Wie wäre es mit einer Tasse Tee, bevor ich gehe?«
»Gern.« Starke ging in die Küche. Ich muß verrückt sein, schalt er sich. Wie zum Teufel sollen wir es anstellen, die Basis zu räumen und mit heller Haut davonzukommen? Andy hat recht, daß wir hier keine Zukunft mehr haben. Trotzdem: ich muß verrückt sein, mich freiwillig zu melden.
Es klopfte an der Eingangstür, und gleich darauf öffnete sie sich. Mit leiser Stimme meldete Freddy Ayre: »Der Klugscheißer ist mit einem hezbollahi auf dem Weg hierher.«
»Komm rein, Freddy, und mach die Tür zu«, forderte Starke ihn auf. Sie warteten schweigend. Ein gebieterisches Klopfen. Er öffnete die Tür und bemerkte als erstes Esvandiaris höhnisches Grinsen. Den jungen hezbollahi erkannte er sofort wieder; es war einer von Mullah Hussains Männern und Mitglied des Komitees, das ihn vernommen hatte. »Salaam«, grüßte er höflich. »Salaam, Agha«, sagte der
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