Wirbelsturm
erzählt.«
»Also, als Vater von dem Dorf erfuhr, befahl er Ahmed, den Kalandar herzubringen. Er nahm ihn ins Verhör, schickte ihn zurück, ließ ihn steinigen, dem Metzger die Hände abschlagen und das Dorf niederbrennen. Das Dorf niederzubrennen, war meine Idee – diese Hunde!«
Azadeh war sehr betroffen. Das ganze Dorf niederzubrennen war eine schreckliche Rache gewesen.
Hakim ließ sich seine Hochstimmung durch nichts trüben. »Vater hat die Wachen von mir abgezogen, und ich kann mich ungehindert und frei bewegen. Alle betrachten mich als Erben, die ganze Familie, sogar Najoud, obwohl sie mit den Zähnen knirscht. Das … das hatte ich gar nicht erwartet. Du erinnerst dich doch noch, wie ich verbannt wurde? Damals verfluchte er mich und schwor, Schah Abbas wisse, wie man mit verräterischen Söhnen umgehen müsse …«
Sie zitterte, als sie an diesen Alptraum zurückdachte, an die Flüche und Wutausbrüche, obwohl sie doch beide unschuldig waren. »Was hat ihn so verändert? Mir gegenüber, uns gegenüber?«
»Es war Allahs Wille. Allah hat ihm die Augen geöffnet. Er muß wissen, daß er dem Tod nahe ist und Vorsorge treffen muß. Er ist ja schließlich der Khan. Vielleicht hat er Angst und möchte zugefügtes Unrecht wiedergutmachen. Wir haben nie etwas gegen ihn unternommen. Spielt es eine Rolle, was ihn zu seiner Sinnesänderung bewogen hat? Wir haben das Joch endlich abgeschüttelt und sind frei – das allein zählt.«
Im Krankenzimmer: 11 Uhr 16. Der Khan schlug die Augen auf. Ohne den Kopf zu bewegen erfaßte er die Grenzen seines Blickfeldes. Ahmed, Ayscha und der Wächter. Keine Krankenschwester. Dann konzentrierte er sich auf Ahmed, der am Boden hockte. »Hast' sie gebracht?« stammelte er mühsam.
»Ja, Hoheit. Vor ein paar Minuten sind wir angekommen.«
Die Krankenschwester kam in sein Gesichtsfeld. »Wie fühlen Sie sich, Exzellenz?« fragte sie ihn auf Englisch. Er hatte ihr befohlen, in dieser Sprache mit ihm zu reden.
»Immer gleich.«
»Ich werde es Ihnen ein wenig bequemer machen.« Sehr zart und behutsam – und mit viel Kraft – richtete sie ihn auf und strich Bett und Kissen glatt. »Brauchen Sie die Flasche, Exzellenz?«
Der Khan überlegte kurz. »Ja.«
Sie versorgte ihn mit dem Urinal. Abdullah Khan fühlte sich beschmutzt, weil eine Ungläubige diese Handreichung an ihm vornahm, obwohl er mittlerweile erkannt hatte, daß sie enorm kompetent, überaus klug und sehr gut war, die beste in Täbris – Ahmed hatte dafür gesorgt –, in jeder Beziehung besser als Ayscha, die sich als völlig nutzlos erwiesen hatte.
»Exzellenz?«
Er nahm die Tablette und einen Schluck Wasser. Angenehm kühle Hände hielten das Glas. Dann fiel sein Blick wieder auf Ahmed. Froh, daß sein Vertrauter wieder da war, lächelte er ihn an. »Gute Fahrt?«
»Ja, Hoheit.«
»Freiwillig? Oder mit Gewalt?«
Ahmed lächelte. »Es ging alles, wie Sie es geplant hatten, Hoheit. Freiwillig.«
»Ich meine, Sie sollten nicht so viel sprechen, Hoheit«, sagte die Krankenschwester.
»Gehen Sie.«
Sie tätschelte seine Schulter. »Möchten Sie etwas essen, vielleicht ein wenig Khoresch?«
»Halvah.«
»Der Arzt hat gesagt, Süßigkeiten tun Ihnen nicht gut.«
»Halvah!«
Schwester Bain seufzte. »Wenn er unbedingt welche haben will, geben Sie sie ihm«, hatte der Arzt hinzugefügt. »Spielt ja doch keine Rolle mehr. Inscha'Allah.« Sie holte sie, steckte ihm ein Stück in den Mund und wischte den Speichel weg.
»Ihre Tochter ist aus Teheran gekommen, Exzellenz«, sagte sie. »Sie hat mich gebeten, sie sofort zu rufen, wenn Sie erwachen.«
Abdullah Khan fand das Sprechen höchst eigenartig. Er bemühte sich, Sätze laut werden zu lassen, aber sein Mund öffnete sich nicht, wenn er sich öffnen sollte, und die Worte blieben lange Zeit in seinem Kopf. Wenn dann endlich das, was er sagen wollte, in vereinfachter Form über seine Lippen kam, waren die Worte nicht so formuliert, wie sie hätten sein sollen. Aber warum? Ich tue doch nichts, was ich früher nicht auch getan hätte? Wann früher? Ich weiß es nicht. Ich sehe nur eine tiefe Schwärze vor mir. Glühendheiße Nadeln stechen mich, und ich kann nicht atmen. »Wie?«
»Ja, Exzellenz?«
Wieder das Warten. »Wie reden?«
»Ach ja«, erwiderte sie und verstand sofort. Sie hatte viel Erfahrung mit Herzinfarkten. »Keine Bange, am Anfang wird es Ihnen ein wenig schwerfallen. Das gibt sich später. Sie müssen so viel wie möglich ruhen, und
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