Wirbelsturm
Sie dürfen sich keine Sorgen machen, das ist sehr wichtig. Ruhe und Arzneien und Geduld, und bald sind Sie wieder der alte. Alles klar?«
»Ja.«
»Soll ich nach Ihrer Tochter schicken? Sie hatte es sehr eilig, mit Ihnen zu sprechen. So ein hübsches Mädchen!«
Warten. »Später. Später sprechen. Jetzt fortgehen, alle … außer Ahmed.« Schwester Bain zögerte. »Ich gebe Ihnen zehn Minuten – wenn Sie mir versprechen, nachher zu schlafen. Abgemacht?«
»Ja.«
Als sie allein waren, ging Ahmed nahe ans Bett heran. »Hoheit?«
»Wiev… Uhr?«
Ahmed warf einen Blick auf seine funkelnde goldene Armbanduhr, sein ganzer Stolz. »Fast halb zwölf, Hoheit. Heute ist Dienstag.«
»Pjotr?«
»Ich weiß es nicht, Hoheit. Wenn er heute nach Julfa kommt, wird Fazir schon auf ihn warten.«
»Inscha'Allah. Azadeh?«
»Sie hat sich echte Sorgen um Ihr Wohlbefinden gemacht und war sofort bereit zu kommen. Vor ein paar Minuten sah ich sie zusammen mit Ihrem Sohn. Ich bin sicher, daß sie mit allem einverstanden sein wird, um ihn zu schützen – und umgekehrt.« Ahmed bemühte sich, alles klar und deutlich auszusprechen, um ihn nicht zu übermüden. »Was wünschen Sie, daß ich tun soll?«
»Alles.« Alles, was ich beschlossen habe, und noch ein wenig mehr, dachte der Khan mit großem Behagen: dem Lösegeldboten die Kehle durchschneiden, damit seine Stammesbrüder das gleiche mit dem Piloten machen; unter Anwendung aller Mittel herausfinden, ob diese Bälger Verräter sind, und wenn sie es sind, Hakim die Augen ausstechen und sie, gleich nachdem sie Witwe geworden ist, zu Pjotr hinaufschicken; wenn sie es nicht sind, Najoud langsam zerstückeln. Und Pahmudi! Auf seinen Kopf einen Preis aussetzen, der selbst den Teufel verlocken würde. Aber zuerst versuchen, Fazir dafür zu gewinnen und ihm sagen, ich will meine Rache. Ich will, daß Pahmudi gefoltert, vergiftet, zerstückelt, verstümmelt, kastriert wird.
Sein Herz begann zu hämmern, und er wollte die Hand heben, um sie auf die Brust zu legen, aber die Hand gehorchte ihm nicht. Er sah sie auf der Decke liegen, aber sie rührte sich nicht. Und er hatte kein Gefühl – weder in der Hand, noch im Arm. Würgende Angst befiel ihn.
Haben Sie keine Angst, hatte die Schwester gesagt, erinnerte er sich, während seine Verzweiflung zunahm. Sie haben einen Infarkt gehabt, das ist alles, keinen schweren, hatte sie gesagt, und der Arzt auch. Viele Leute erleiden Infarkte. Der alte Hussain Komargi hatte einen, noch kein Jahr ist es her, und er ist immer noch am Leben und aktiv und behauptet, immer noch mit seiner jungen Frau ins Bett gehen zu können. Ich bin ein guter Moslem und komme ins Paradies … Ich habe nichts zu fürchten. Nichts zu fürchten, nichts zu fürchten … wenn ich sterbe, komme ich ins Paradies.
Ich will nicht sterben, schrie er, ich will nicht sterben. Aber er schrie nur in seiner Vorstellung – zu hören war nichts.
»Was wünschen Sie, Hoheit?«
Er sah Ahmeds Sorge, und das beruhigte ihn ein wenig. Gott sei gedankt für Ahmed, auf ihn kann ich mich verlassen. Schweiß lief ihm über den Rücken. Was wollte ich jetzt eigentlich von ihm? Ach ja. »Familie. Alle hier. Später. Zuerst Azadeh, Hakim, Najoud – verstanden?«
»Ja, Hoheit. Um die Nachfolge zu bestätigen?«
»Ja.«
»Ich habe Ihre Erlaubnis, die Gnädigste zu befragen?«
Er nickte. Seine Augenlider waren bleischwer. Er wartete auf das Nachlassen der Schmerzen in der Brust. Er bemühte sich, seine Beine zu bewegen, aber es funktionierte erst beim zweiten Mal, und auch da nur mit großer Mühe. Von neuem überkam ihn tödlicher Schrecken; er geriet in Panik und änderte seine Entschlüsse. »Zahl Lösegeld schnell. Pilot her. Erikki her. Ich nach Teheran. Verstanden?« Er sah Ahmed nicken. »Schnell«, stammelte er und bedeutete ihm zu gehen. Die Panik ließ nach. »Zahl Lösegeld jetzt – geheim. Hol Schwester.«
Nahe der Abzweigung bei Julfa: 18 Uhr 25. Unter den schneebeladenen Bäumen lagen Haschemi Fazir und Armstrong wieder auf der Lauer. Unten wartete der Chevy: Scheinwerfer abgeblendet, Fenster offen, zwei Männer auf dem Vordersitz. Hinter ihnen, zu beiden Seiten der Straße Julfa – Täbris über den Hang verteilt, wartete eine etwa 50 Mann starke paramilitärische Einheit. Die Sonne war hinter den Bergen verschwunden, und der Himmel wurde merklich dunkler.
»Es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit«, brummte Haschemi.
»Die Maschine ist auch das letztemal erst
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