Wirbelsturm
Paradies eingeht. »Wie es Allah gefällt«, sagte er mit frommem Augenaufschlag und bedeutete der Dienerschaft, sich zu entfernen. »Scharazad«, wandte er sich dann an seine Schwester, sobald sie allein waren, »bis auf einige Formalitäten ist deine Scheidung bereits in die Wege geleitet.«
Sie war sofort auf der Hut. »Ach ja?« Sie haßte ihren Bruder, weil er ihre Ruhe störte, ihre Gedanken in eine Hetzjagd trieb. Ich will mich nicht scheiden lassen. Es wäre Meschang leicht gefallen, ihm Geld zu geben. In der Schweiz liegt genug. Er hätte nicht so gemein sein müssen zu Tommy. Wir hätten wegfahren können … Sei nicht dumm, ohne Papiere kannst du nicht wegfahren. Er hat dich verlassen, es war seine Entscheidung. Ja, aber Tommy hat auch gesagt, er würde einen Monat warten. Und in einem Monat kann so viel passieren.
»Deine Scheidung bringt keine Probleme mit sich. Und deine Wiederverheiratung auch nicht.«
Sprachlos starrte sie ihn an.
»Ja, ich habe einem Brautpreis zugestimmt, der viel höher war, als ich erwartet hatte …« Für eine zweimal geschiedene Frau, die das Kind eines Ungläubigen erwartet, hatte er sagen wollen, aber es handelte sich um seine Schwester, und es war eine ausgezeichnete Verbindung, und darum schwieg er. »Die Eheschließung wird nächste Woche stattfinden, und er bewundert dich schon seit Jahren. Es ist Exzellenz Farazan.«
Einen Augenblick lang trauten beide Frauen ihren Ohren nicht. Verwirrende Erregung breitete sich in Scharazad aus. Der achtundzwanzigjährige Keyvan Farazan war aus einer reichen Bazaari-Familie, sah gut aus und war vor kurzem aus Cambridge zurückgekehrt. Sie kannten sich seit Jahren gut. »Aber, aber ich dachte … Keyvan wollte sich …«
»Doch nicht Keyvan!« fiel Meschang ihr ins Wort, verärgert über so viel Dummheit. »Daß Keyvan sich zu verloben gedenkt, das wissen doch alle. Daranousch! Exzellenz Daranousch Farazan.«
Scharazad war vor Entsetzen wie gelähmt. Zarah schnappte nach Luft und bemühte sich, ihre Entgleisung zu überspielen. Daranousch war Keyvans Vater, der vor kurzem seine zweite Frau verloren hatte. Sie war im Kindbett gestorben, so wie schon seine erste. Er war ein sehr reicher Mann, der das Monopol auf die Müllabfuhr im ganzen Basarbezirk innehatte. »Das … das ist doch nicht möglich?« stammelte Scharazad.
»O doch, das ist möglich«, verkündete Meschang stolz, der ihre Reaktion völlig mißdeutete. »Ich konnte es selbst nicht glauben, als er mir den Vorschlag machte, nachdem er von deiner Scheidung gehört hatte. Mit seinem Reichtum und seinen Verbindungen werden wir die mächtigste Firmenverbindung des Basars sein, zusammen mit …«
Scharazad fiel ihm ins Wort. »Aber er ist widerlich, widerlich und alt. Und kahl und häßlich. Und er liebt Knaben, alle Welt weiß, daß er ein Päd…«
»Und alle Welt weiß, daß du zweimal geschieden bist und das Kind eines Fremden im Bauch hast«, explodierte Meschang, »daß du an Demonstrationen teilnimmst und ungehorsam bist, daß dein Kopf voll von westlichem Unsinn ist und daß du dürr bist!« In seiner Wut verschüttete er Speisen von seinem Teller. »Begreifst du denn nicht, was ich für dich getan habe? Er ist einer der reichsten Männer im Basar! Ich habe ihn dazu gebracht, dich zu akzeptieren, und damit ist deine Ehre wiederhergestellt. Und jetzt …«
»Aber Meschang, du …«
»Verstehst du denn nicht, du undankbares Miststück«, brüllte er. »Er ist sogar bereit, dein Kind zu adoptieren. Was zum Teufel willst du noch?«
Zitternd vor Wut ballte Meschang seine Hand zur Faust und schüttelte sie drohend. Zarah starrte sie an, dann ihn. Sie war entsetzt über sein geiferndes Toben.
Scharazad hörte nichts und sah nichts. Sie verstand nur, welches Schicksal ihr Bruder für sie bestimmt hatte: den Rest ihres Lebens an diesen alten Mann gekettet zu sein, einer Zielscheibe des Spottes der Bazaaris, der ständig nach Urin stank und ihr einmal im Jahr ein Kind machen würde. Sie würde gebären und weiterleben und wieder gebären müssen, bis sie im Kindbett starb – wie seine ersten beiden Frauen. Neun Kinder hatte er von seiner ersten, sieben von seiner zweiten. Sie kam sich verdammt vor, konnte aber nichts dagegen tun. Nichts.
Mir bleibt nur der Tod. Aber nicht durch Selbstmord, denn dann komme ich nicht ins Paradies. Nicht durch Selbstmord. Niemals. Ich muß den Tod erleiden, während ich Allahs Werk tue, mit dem Namen Allahs auf den
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