Wirbelsturm
»Azadeh!«
»Sie werden sie doch nicht wecken wollen, Exzellenz. Sie hat ein … sie hat zwei Schlaftabletten genommen und mich gebeten, sie zu entschuldigen, wenn Sie …«
»Zieh sie an!« zischte er.
Mina erblaßte. »Aber Exzellenz, wie …« Fast stockte ihr das Herz, als sie den Dolch in seiner Hand sah.
»Zieh sie rasch an, und wenn du auch nur einen Laut von dir gibst, schneide ich dir die Kehle durch. Los!« Er sah, wie sie nach dem Schlafrock griff. »Das nicht, Mina! Warme Kleidung, einen Schianzug – ganz gleich, aber mach schnell!« Er postierte sich zwischen ihr und der Tür, so daß sie nicht ausreißen konnte. Als er sicher war, daß Mina ihm gehorchte, nahm er Azadehs Handtasche von der Frisierkommode. Sie enthielt alle ihre Dokumente, Personalausweis, Reisepaß, Führerschein, Geburtsschein, alles. Wunderbar, dachte er, segnete Ayscha für das Geschenk, von dem Azadeh ihm vor dem Essen erzählt hatte, und dankte seinen alten Göttern, daß sie ihm heute morgen den Plan eröffnet hatten. Oh, mein Liebling, dachtest du wirklich, ich würde dich verlassen?
In der Handtasche lag auch der seidene Juwelenbeutel, der ihm schwerer als sonst zu wiegen schien. Seine Augen weiteten sich angesichts der Smaragde und Diamanten und Perlenketten und Ohrgehänge, die der Beutel enthielt. Najouds Schmuck, dachte er, derselbe, den Hakim benutzt hatte, um mit den Bergbewohnern zu feilschen, und den ich Bayazid später abgenommen habe. Im Spiegel sah er Mina, die mit offenem Mund den Schatz anstarrte, den er in der Hand hielt. »Beeil dich!« knurrte er.
Bei der Straßensperre unterhalb des Palasts. Der Polizeisergeant und sein Fahrer saßen im Wagen und starrten zu dem 400 Meter entfernten Palast hinauf. Sie sahen nur die trüben Lichter an der Außenseite des großen Pförtnerhauses, aber weder die Wächter noch ihre eigenen beiden Männer. »Fahr hinauf!« befahl der Sergeant, der ein mulmiges Gefühl hatte. »Da stimmt etwas nicht! Entweder schlafen sie oder sie sind tot. Fahr langsam und mach keinen Lärm.« Der Fahrer ließ den Motor anspringen und schwenkte vorsichtig in die leere Straße ein.
Beim Haupttor. Babak, der Wächter, lehnte gegen einen Pfeiler innerhalb des großen Eisentors, das geschlossen und verriegelt war. Der andere Wächter lag in der Nähe zusammengerollt auf einem Haufen Sackleinen und schlief. Durch die Gitterstäbe des Tors konnte man die Straße sehen, die in die Stadt hinunterführte. Jenseits des leeren Springbrunnens in etwa 100 Meter Entfernung stand der Hubschrauber. Die Drehflügel bewegten sich ein wenig im eisigen Wind.
Babak gähnte und stampfte mit den Füßen, um sich warm zu halten. Die zwei Polizisten waren verschwunden, während sie sich beim Khan Anweisungen geholt hatten. »Die sind losgezogen, um sich etwas zu essen zu organisieren«, hatte er gesagt, »oder um irgendwo ein Nickerchen zu machen. Allah strafe die gesamte Polizei!«
Babak freute sich schon auf den Morgen. Er würde ein paar Stunden dienstfrei haben. Er sah sich schon neben einem warmen Körper im Bett. Automatisch kratzte er sich zwischen den Beinen, fühlte sich hart werden. Träge lehnte er sich zurück und spielte mit sich, während seine Augen sich vergewisserten, daß der schwere Torriegel vorgelegt und auch das kleine Seitentor geschlossen war. Dann nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Mit einem großen Bündel über der Schulter schlich der Pilot aus einer Seitentür des Palastes; er trug den Arm nicht mehr in der Schlinge, dafür aber eine Pistole. Eilig knöpfte sich Babak die Hose zu und ließ sein Gewehr von der Schulter gleiten. Vorsichtig stieß er seinen Kameraden an, der, ohne einen Laut von sich zu geben, erwachte. »Sieh doch«, flüsterte er, »ich dachte, der Pilot säße noch in der Kabine seines Hubschraubers.«
Mit weit aufgerissenen Augen beobachteten sie, wie Erikki im Schatten blieb und dann geräuschlos quer über den Platz zur anderen Seite des Hubschraubers hinübersprang. »Was treibt er da? Was hat er in dem Bündel?«
»Es sieht wie ein Teppich aus, ein eingerollter Teppich.« Die Tür des Cockpits öffnete sich.
»Aber was soll das? Bei allen Namen Allahs, was hat er vor?«
Das Licht reichte kaum aus, aber ihr Sehvermögen und ihr Gehör waren gut. Sie hörten einen näherkommenden Wagen, wurden aber sogleich von dem Geräusch der Kabinentür auf der anderen Seite abgelenkt, die in diesem Augenblick geöffnet wurde. Mit angehaltenem Atem
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