Wirrnis des Herzens
anreicherte. »Der Duft kommt mir bekannt vor«, sagte Lord Beecham, während er vorsichtig mit dem öligen Daumen über die Lederoberfläche fuhr. »Es riecht nach Ihnen.«
»Ölen Sie das Leder weiter ein, Spenser.«
»Sehen Sie sich das an«, murmelte Spenser einen Moment später. »Es funktioniert.«
Gewissenhaft setzten sie ihre Arbeit gemeinsam fort, bis das gesamte Leder glänzend schimmerte. Jetzt gab es nur noch drei kleine Risse und vielleicht ein Dutzend verbliebener brüchiger Stellen.
Sie betteten das geschmeidig gewordene Leder in saubere indische Baumwolle, verließen den Raum und schlossen die Tür des Raumes von außen ab. Einige Minuten später bestiegen sie ihre Pferde, um nach Dercham zu Pfarrer Gilliam zu reiten.
Allerdings kamen sie dort nicht an.
9
Vom einen auf den anderen Moment, wie so oft in England, verdüsterte sich die Farbe des Himmels von nebeligem Grau zu finsterem Schwarz. Drohend zogen sich die tief hängenden, dunklen Wolken zusammen.
»Oje, mein neuer Hut«, sagte Helen. »Ich habe ihn doch erst letzte Woche bei einer äußerst exquisiten Londoner Modistin gekauft. Sie glauben gar nicht, was so eine Pfauenfeder wie diese hier kostet.«
»Bei welcher Modistin?«
»Madame Flaubert.«
»Sie ist relativ konservativ, wie ich letztlich festgestellt habe. Die Qualität ihrer Sachen allerdings ist exzellent. Und bei Ihrer Größe ist dieser schlichte Schnitt...« Lord Beecham sollte seinen Gedanken nicht beenden können, denn in eben diesem Moment fuhr plötzlich ein Blitz in einen Eichenast, der über dem schmalen Pfad hing. Eine kleine Rauchwolke stieg auf, und einen Augenblick später krachte der Ast nicht unweit von ihnen zu Boden. Ein Donner durchbrach die Stille. Lord Beechams Pferd geriet außer Kontrolle und stand wild wiehernd auf den Hinterbeinen.
»Helen, halten Sie sich fest!«
Lord Beecham hatte keine Chance. Sein Pferd scheute abrupt und schlug sogar nach hinten aus. Lord Beecham wurde vom Sattel geschleudert und landete kopfüber in einer dicht bewachsenen Hecke am Wegesrand. Er hörte Helen, wie sie seinen Namen rief.
Helen aber hatte mit nicht minder schweren Problemen zu kämpfen. Lord Beechams Pferd warf sich mit wild rollenden Augen gegen Eleonor, die stolpernd zurückwich. Dann biss der verrückt gewordene Wallach die Stute in den Hals. Eleonor tänzelte verstört umher, bis sie wie versteinert und mit angstvoll erhobenem Kopf stehen blieb. Vor Schreck aufschreiend, war Helen ebenfalls vornüber von ihrem Pferd gestürzt und war am Ufer eines kleinen Baches neben einem Beet leuchtend gelber Narzissen gelandet.
Lord Beecham, der seinen Sturz ohne nennenswerte Blessuren überstanden hatte, hastete den Uferhang hinunter und kniete neben Helen nieder. Vorsichtig berührte er ihre Wange. »Sind Sie in Ordnung?«
Helen lag flach auf dem Rücken, neben ihr lagen zerdrückte Narzissen. In ihrem Reitkostüm kam unter dem nach hinten gestreckten rechten Arm ein riesiger Riss zum Vorschein.
Als sie ihre Augen wieder öffnen konnte, sah sie zugleich zwei schwankende Lord Beechams. »Hören Sie sofort auf, so herumzuwackeln. Mir wird davon ganz schwindelig.«
»In Ordnung. Ich bin jetzt völlig bewegungslos. Wird es besser?«
»Ja, vielen Dank. O je, mein Reitkostüm, ist es ruiniert?«
»Helen, ich mache mir Sorgen, dass Sie sich etwas gebrochen haben oder Sie innere Verletzungen haben und Sie, Sie jammern über Ihr verdammtes Reitkostüm. Ich kaufe Ihnen ein neues. Ich suche Ihnen sogar den richtigen Schnitt und das Material aus. Vergessen Sie das elende Reitkostüm endlich. Und konzentrieren Sie sich. Wie fühlen Sie sich denn?«
»Sie haben da Schmutz im Gesicht«, Helen hob die Hand und wischte Spenser über die Stirn. »Neben Ihrem Ohr ist eine kleine Schnittwunde. Ich glaube, mir fehlt nichts. Sind Sie hart aufgeschlagen?«
»Nein, mein Pferd war so freundlich, mich in eine Hecke zu werfen, das hat meinen Fall erheblich abgefangen. Ich sah noch, wie Sie über Eleonors Schulter geschleudert wurden. Diese beiden undankbaren Biester trotten wahrscheinlich gerade friedlich zurück nach Shugborough Hall. Zumindest hoffe ich, dass Ihre Stute meinem Wallach den Weg weisen wird.«
»Ihr Pferd war so von Sinnen, dass es Eleonor gebissen hat. Vielleicht ist es aber auch in sie verliebt. Wenn das der Fall ist, können Sie sich sicher sein, dass er ihr auf dem Fuße folgen wird.«
Er hätte nicht erklären können, warum er das tat. Vielleicht war es die große
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