Wirrnis des Herzens
meine Kosten gekommen. Na und?«
Na und? Lord Beecham konnte Helen nur noch fassungslos anstarren. Sein Gehirn verweigerte die Arbeit. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte es eine Frau gewagt, so mit ihm zu reden. Na und. Er war nahe daran loszubrüllen, hielt sich aber zurück und holte tief Luft. Mit einem angestrengten Lächeln auf den Lippen sagte er: »Das war ja recht amüsant. Wie meinen Sie das, >Na und«
»Ich will damit sagen, dass gestern Nachmittag, verglichen etwa mit dem Alter unseres Universums, ein sehr kurzer Zeitraum war, nicht mehr, sozusagen, als ein kleiner Tropfen im Ozean der Zeit.
Sie und ich, Lord Beecham, sind in ein Abenteuer verwickelt, aber nicht in ein lustvoll triviales. Wir stehen am Anfang einer mystischen Entdeckungsreise. Das gestern war nur eine kurze Entgleisung des schlechten Wetters wegen. Jetzt scheint wieder die Sonne. Es gibt also nichts, das uns ablenken könnte.
Achten Sie auf den Weg, Lord Beecham, Ihr Pferd hat ein Auge auf die Kräuter dort drüben geworfen.«
»Hör gut zu, mein Lieber«, sagt Lord Beecham ruhig zu seinem Wallach, »du wirst dich jetzt nicht wie ein verfluchtes Weibsbild benehmen und einfach davonrennen, vor allem nicht mit mir im Sattel.«
Luther schnaubte und Helen lachte.
Es gab Momente, da hatte ein Mann keine andere Wahl, als den Widerstand aufzugeben. Für den Rest des Weges nach Dereham schwieg Lord Beecham. Pfarrer Lockleer Gilliam war ein gepflegter, vielseitig talentierter Gentleman. Er hatte zwei erwachsene Kinder, war Witwer und von unverheirateten Frauen über vierzig umschwärmt. Er freute sich über ihren Besuch und führte Helen und Lord Beecham in das niedrige Studierzimmer, das seit dem Tod seines Bruders aus Oxford dessen Bücher und Manuskripte beherbergte.
Bald darauf saßen Helen und Lord Beecham völlig selbstvergessen bei der Arbeit und wühlten sich kopfschüttelnd durch die alten Schriftstücke. Im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, sah man den Staub tanzen. Helen kniete auf einem schönen alten flämischen Teppich, den der Pfarrer von einer seiner Verehrerinnen geschenkt bekommen hatte. Vor Helen lag ein riesiges vergilbtes Manuskript. »Schade«, sagte sie. »Das ist nicht dieselbe Schrift. Aber sie ist der, die wir suchen, sehr ähnlich. Es ist Aramäisch.«
Lord Beecham warf einen Blick darauf. »Ja, wirklich, es kommt der Schrift sehr nah.«
»Eine Tasse Tee, meine Lieben?«
»Das wäre wundervoll, Mr. Gilliam«, sagte Helen und lächelte ihn an. »Wirklich zu nett von Ihnen. Oje, sehen Sie nur, wie viel Staub wir aufgewirbelt haben.«
Helen wollte aufstehen, aber Pfarrer Gilliam winkte ab. »Nein, Sie zwei machen einfach weiter und ich gehe und sage Cock Bescheid, dass er uns Tee bereiten soll.«
Eine halbe Stunde später, die leeren Teetassen waren schon wieder abgeräumt, rief Lord Beecham plötzlich: »Ich hab's Helen, heureka, ich hab's.«
Sofort sprang Helen auf. Lord Beecham saß über den Schreibtisch des Pfarrers gebeugt, vor sich ein sehr altes Buch aufgeschlagen.
»Was ist es?«
Er schaute sie an. Seine dunklen Augen waren vor Aufregung noch dunkler geworden. Da war nichts mehr von dieser trägen, lebensmüden Nuance in seinem Blick. Lord Beecham war fasziniert und er war bis in die Haarspitzen angespannt.
»Ich hab's gefunden, Helen. Ich bin mir ganz sicher. Schauen Sie, Helen. Schauen Sie doch. Das muss es sein, meinen Sie nicht auch?«
Sie schaute ihm über die Schulter. Summend betrachtete sie eine Weile den Text. »Ich denke, Sie haben Recht. Sehen Sie dieses eigenartige Zeichen, das ständig wiederholt wird? Es ist identisch - mit dem der Lederrolle. Wie heißt diese Sprache?«
»Pehlewi, ein Alphabet, das sich aus dem Aramäischen entwickelt hat, daher auch die Ähnlichkeit. Pehlewi war von Anfang des zweiten Jahrhunderts vor Christus an bis zum Aufkommen des Islams um sechshundert nach Christus das Schriftsystem der Perser.
Das Awesta, das ist die heilige Schrift der Zoroastrier, ist in einer Form des Pehlewi geschrieben, die man Awestan nennt. O Gott, Helen, das ist wirklich aufregend. So etwas zu entdecken -« Lord Beechams Stimme brach ab, er strahlte Helen an und umfasste ihre Hüften. Dann hob er sie hoch und tanzte mit ihr freudig durch den Raum. »Wir haben es gefunden. Stellen Sie sich das vor. Pehlewi, eine Sprache, die es schon seit Ewigkeiten nicht mehr gibt. Denken Sie nur, diese Lederrolle muss mehr als tausend Jahre alt sein, und wir halten sie hier in Händen,
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