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Wirrnis des Herzens

Titel: Wirrnis des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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ist die Höhle?« Das Echo trug Lord Beechams Stimme mit sich fort.
    »Sie ist von hier aus noch etwa sechs Meter tief. Die Höhle hat den Grundriss einer Brotscheibe. Seitenkammern gibt es nicht.« Helen klang regelrecht enttäuscht. Lord Beecham dagegen erleichterte diese Tatsache ungemein. Das kleine Mädchen damals war in eine solche Seitenkammer gelaufen, wo er sie dann schließlich zusammengerollt am Boden gefunden hatte, direkt neben ihr ein menschliches Skelett. Die feinen, zerfetzten Kleider, die sogar noch um die Knochen hingen, mussten mindestens hundert Jahre alt gewesen sein. Als die Männer das Skelett heraustrugen, waren die Stofffetzen einfach zu Staub zerfallen.
    Diese Höhle war wegen ihrer Größe weniger feucht und kalt als die aus den Kindertagen. Trotzdem war es absolut dunkel. Helen hielt einen Augenblick inne. Im flackernden Licht ihrer Laterne sah Lord Beecham, wie sie den Kopf zur Seite neigte. Sie schien zu lauschen. Dicht hinter ihr blieb er stehen. Sein Herzschlag hallte in seinen Ohren wider.
    »Es ist nichts«, sagte Helen laut, »nur ein paar Fledermäuse.« Mit erhobener Laterne ging Helen weiter. Fledermäuse, dachte er. Wie schafften diese eigenartigen Tiere es nur, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden? Professor Gilliam, überlegte er, hatte stets Antworten auf seine unzähligen Fragen parat gehabt. Über Fledermäuse allerdings hätte wohl auch er nichts gewusst. Niemand in Oxford kannte sich mit Fledermäusen aus.
    Der Boden flachte stärker ab und sie konnten endlich aufrecht gehen. Helen hielt an, kniete sich nieder und setzte die Laterne vorsichtig neben sich auf den Boden. »Nach dem besagten Sturm bin ich hierher gekommen. Sehen Sie diese nach innen gewölbte Wand? Da war eine Gerölllawine und mittendrin lag das Kästchen.« Helens Stimme klang ungewöhnlich tief und durch das schwache Echo fast unheimlich, beinah wie aus einer anderen Welt. Lord Beecham lief ein Schauer über den Rücken. Laut sagte er: »Dieses Echo -sogar hier, wenn wir nah beieinander stehen und nur leise sprechen - frisst sich irgendwie in meinen Kopf. Es ist ganz eigenartig, Helen. Wundem Sie sich nicht, wenn ich auf einmal beginne, mit fremden Zungen zu sprechen.«
    Helen sah ihn an. Im Licht der Laterne sah ihr Gesicht wie eine weiße Totenmaske aus. »Ich kenne das. Mir wird in Höhlen auch immer ganz unheimlich zumute. Wenn ich allein bin, singe ich immer, sonst würde ich mich noch zu Tode fürchten. Ich versuche einfach, mich über mich selbst lustig zu machen. Das hilft.«
    »Ich sollte das auch mal ausprobieren.« Lord Beecham kniete sich neben sie. »Der Sturm hat hier an der Wand anscheinend eine kleine Gerölllawine ausgelöst. Schauen Sie sich das an.« An der Wand der Höhle, keine fünfzig Zentimeter über dem Boden, befand sich ein schmaler Vorsprung. »Der Fels hier ist absolut eben. Jemand muss ihn in den Stein gehauen haben, um etwas darauf zu stellen.« Lord Beecham fuhr mit der Hand über den glatten Fels. »Nein, dieser Vorsprung ist keinesfalls natürlich entstanden. Jemand könnte ihn in die Wand gehauen haben, um das Kästchen daraufzustellen. Und dann hat er es sich vielleicht wieder anders überlegt. Die Stelle könnte ihm doch zu leicht zugänglich gewesen sein, und er entschloss sich, das Kästchen lieber in der Wand zu verstecken, und so blieb der Vorsprung einfach ungenutzt. Das ist doch gut möglich.«
    Der Vorsprung wurde von zwei Steinplatten gestützt.
    »Mein Gott«, rief Helen plötzlich aufgeregt. »Das habe ich ja noch gar nicht bemerkt.«
    Sie nahm die Laterne und hielt sie dicht an eine der Platten. Mit der anderen Hand zog sie ein Taschentuch hervor und wischte damit über den Stein. »Da ist eine Inschrift, Spenser.«
    Lord Beecham beugte sich zu ihr hinüber. Während Helen die Laterne hielt, wischte er den restlichen Sand von der Oberfläche. Tiefe, sorgfältig gearbeitete Buchstaben kamen zum Vorschein. »Nun«, sagte er langsam, »das hier ist mit Sicherheit weder Lateinisch noch Pehlewi.« Er schaute sich um und sah Helen an. »Es ist Altfranzösisch.«
    »Das Französisch, das König Edward sprach?«
    »Genau.«
    »Warten Sie.« Helen setzte die Laterne ab und griff in die Tasche ihres Umhangs. Sie zog ein zusammengerolltes Papier und ein Stück in weißes Tuch eingewickelte Kreide hervor.
    »Sind Sie immer so gut vorbereitet?«, fragte Lord Beecham.
    »Ich zeichne«, sagte sie und warf ihm einen kurzen Blick zu. »Ich dachte, dass Sie mir vielleicht

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