Wirrnis des Herzens
angenehm aus.
Wie gesagt, ihr habt Glück gehabt. Und ich muss gestehen, dass mir der Gesang eures Freundes vorhin wirklich gut gefallen hat. Ihr anderen allerdings habt nichts getan, um meine Gunst zu erlangen. Ihr hättet alle eine ordentliche Tracht Prügel verdient. Leider seid ihr viel zu viele für die knappe Zeit, die ich aufbringen kann.
Ihr bleibt alle hier im Hof, bis ihr wieder nüchtern und trocken genug seid und nicht auf meinen schönen Holzboden tropft. Wenn ihr wollt, könnt ihr danach wieder in meinem Gasthaus einkehren. Aber mehr als drei Gläser Bier wird keiner von euch bekommen. Wenn Gwendolyn euch etwas bringt, werdet ihr euch höflich bedanken, und wenn einem übel wird, wird er sich taktvoll entschuldigen und in den Hof gehen. Der Schankraum schließt um Punkt zwölf Uhr nachts. Hat das jetzt jeder verstanden?«
Allgemeines Grunzen und Nicken waren die Antwort. Der junge Mann, dem Helen ein Kompliment gemacht hatte, öffnete den Mund und begann erneut zu singen. Einer seiner Freunde bewarf ihn mit dem leeren Wassereimer.
Helen klopfte sich den Staub von den Händen, warf Lord Beecham ein strahlendes Lächeln zu und ging zurück in den Schankraum. Die drei Stallburschen blieben im Hof und beobachteten gelangweilt, wie die betrunkenen jungen Männer sich bemühten, wieder nüchtern zu werden.
»Helen«, sagte Lord Beecham voller Ehrfurcht, »Sie waren wirklich gut. Sie haben die Männlichkeit der Burschen nicht allzu verletzt und ihnen doch eine gehörige Portion Gedankenfutter gegeben. Ich denke nicht, dass sie diesen Tag so schnell vergessen werden.«
»Als ich vor sechs Jahren das Gasthaus gekauft habe, brachte mein Vater mir alles bei, was ich über den Umgang mit jungen Kerlen wissen musste. Sie sind nicht schlecht, nur wild und unerfahren. Und sie haben zu viel Geld in den Taschen.«
Helen zog ihr Kleid zurecht. Lord Beechams Augen blieben an ihren Brüsten hängen.
»Hätten Sie vor vierzehn Jahren genauso gut einer von diesen Rabauken sein können, Lord Beecham?«
Er lächelte Helen an. »Ich wäre der gewesen, der gesungen hat. Und Sie hätten versucht, mich zu verführen.«
Insgeheim fragte sich Helen, ob in seinen Worten vielleicht ein Fünkchen Wahrheit lag.
Lord Beecham sah sich die Räumlichkeiten des Gasthauses an, während Helen mit Mrs. Toop, Gwendolyn und Mr. Hyde, dem Schankwirt, sprach. Von Letzterem hatte sie Lord Beecham zuvor berichtet. Er sei einerseits ein genialer Brauexperte, andererseits aber auch ein ausgemachter Feigling, der schon wimmerte, wenn jemand nur laut zu ihm sprach. Wenn es im Schankraum auch nur im Entferntesten nach Ärger aussähe, verstecke sich Mr. Hyde unversehens hinter den Fässern im Keller.
Lord Beecham war beeindruckt. Das Gasthaus war sauber und in bestem Zustand. Die zwei hübschen Fremdenzimmer hatten je einen eigenen Kamin und lagen zum ruhigen Irmenhof hin. Das Gasthaus war nicht sonderlich groß, hatte aber immerhin zwei Stockwerke und einen Stall. Von der Straße aus führte ein schön geschwungener Kiesweg über den ansonsten grasbewachsenen Hof. Zwischen dem Gasthaus und dem Stall stand eine stattliche Ulme, und überall, wo man hinsah, gab es üppige Blumenrabatten. Baron Prith hatte Lord Beecham erzählt, dass das Essen in König Edwards Wunderlampe das Beste der ganzen Gegend sei. Der anhaltende Geruch nach frischem Brot ließ Lord Beecham plötzlich gewahr werden, wie hungrig er war.
Eine Stunde später verließen Helen und er das Gasthaus und ritten zum Laden des Schlachters Jones. Mrs. Toop war für den Fall, dass die jungen Männer sich nicht an die Abmachung hielten, mit einer Bratpfanne ausgerüstet worden. Bei Jones angekommen, trat Helen in den Laden und unterhielt sich eine Weile mit dem Schlachter und seinem gut aussehenden Sohn Walter. Lächelnd kam sie schließlich wieder heraus und rieb sich die Hände.
»Ich hab es geschafft«, sagte sie fröhlich, als Lord Beecham ihr auf den Rücken ihres Pferdes half. »Walter ist ein vernünftiger junger Mann. Er wird Teeny gut behandeln. Der alte Jones konnte seine unendliche Freude darüber, dass unsere Familien durch die Heirat zwischen seinem Sohn und Teeny in gewisser Weise verbunden werden, kaum zügeln. >Teeny und Walter Jones<, das hört sich gut an. Und mm können wir uns endlich an die Arbeit machen.«
Lord Beecham hatte schon so lange auf die Pehlewi-Schrift gestarrt, dass er bereits zu schielen begann. Es war beinah fünf Uhr nachmittags, Zeit für eine
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