Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
Anm. d. Übers.] zu überbrücken, um in ihrem Rahmen – wie der Goldfisch im Glas – einen Ozean von Katastrophen beobachten zu können, die sich demnächst abspielen sollen? Wie sollen wir uns vernünftig verhalten, wenn es nirgends eine Bodenkontrollstation gibt, an die wir den Hilferuf schicken könnten: »Houston, wir haben hier ein Problem«?
Das Sonderbare an diesem so großen Abstand zwischen den kleinlichen egoistischen Sorgen, die wir Menschen uns machen, und den großen Umweltfragen liegt darin, daß es genau dieser Abstand ist, der in vielen Gedichten, Predigten und erbaulichen Vorträgen über die Wunder der Natur so hochgehalten worden ist. Falls diese Darbietungen wirklich etwas dermaßen Wundervolles hatten, lag es gerade an dieser Kluft. Sich ohnmächtig zu fühlen und von diesem Schauspiel der »Natur« überwältigt und völlig beherrscht zu werden macht einen großen Teil dessen aus, was wir spätestens seit dem 19 . Jahrhundert als das Erhabene zu würdigen gelernt haben. Denken wir an Percy Shelley:
In the wild woods, among the mountains lone,
Where waterfalls around it leap forever ,
Where woods and winds contend, and a vast river
Over its rocks ceaselessly bursts and raves. *
Wie liebten wir es doch, uns klein zu fühlen inmitten der gewaltigen Kräfte der Niagarafälle, der atemberaubenden Unermeßlichkeit der arktischen Gletscher oder der ausgedörrten Wüstenlandschaft der Sahara! Welch erlesener Kitzel, unser eigenes Format und das der Galaxien nebeneinanderzuhalten! Verglichen mit der Natur sind wir klein, doch was das Moralische betrifft, sind wir soviel größer als selbst ihr großartigstes Kräfteaufgebot! Es gibt so viele Gedichte, so viele Meditationen über den Mangel an Kommensurabilität zwischen den immerwährenden Kräften der Natur und den mickrigen Menschlein, die diese Kräfte zu erkennen oder zu beherrschen beanspruchen.
Man könnte also doch sagen, diese Kluft habe es immer schon gegeben und sie sei die innere Quelle des Gefühls des Erhabenen.
The everlasting universe of things
Flows through the mind, and rolls its rapid waves,
Now dark – now glittering – now, reflecting gloom –
Now lending splendour, where from secret springs
The source of human thought its tribute brings. *
Doch was ist in letzter Zeit aus dem Erhabenen geworden – jetzt, da wir aufgefordert werden, eine andere Kluft zu betrachten, nämlich diesmal die Kluft zwischen den gigantischen Handlungen, die wir als Menschen, als Menschen insgesamt vollbracht haben, einerseits, und unserem völligen Unvermögen, uns auf diese Kollektivhandlung einen Reim zu machen, andererseits?
Denken wir einen Augenblick über den Begriff »Anthropozän« nach, diese verblüffende lexikalische Erfindung, mit deren Hilfe die Geologen unsere gegenwärtige Zeit bezeichnen wollen. Man spürt, daß sich das Erhabene in Luft auflöst, sobald wir nicht mehr als jene mickrigen, von der »Natur« überwältigten Menschlein aufgefaßt werden, sondern ganz im Gegenteil als kollektiver Riese, der (in Terawatt gemessen) so gewaltig zugelegt hat, daß er zur wichtigsten geologischen Kraft geworden ist, welche die Erde prägt.
Diese Anthropozän-Argumentation hat auch eine ironische Seite, denn sie wird gerade zu einer Zeit vorgebracht, in der einige Avantgarde-Philosophen unsere Epoche als »posthumane« Zeit apostrophiert haben, zu einer Zeit, da andere Denker den Vorschlag gemacht haben, denselben Augenblick als das »Ende der Geschichte« zu bezeichnen. Wie es aussieht, hat nicht nur die Natur, sondern auch die Geschichte noch mehr als einen Trick in petto. Denn wir erleben nun eine Beschleunigung und Steigerung der Geschichte, allerdings nicht mit einem posthumanen, sondern vielmehr mit einem postnatürlichen Dreh. Wenn es stimmt, daß der Anthropos die Erde buchstäblich (und nicht nur metaphorisch durch Symbole) zu gestalten vermag , ist das, was wir derzeit erleben, ein Anthropo morphismus auf Anabolika.
In seinem vortrefflichen Buch Eating the Sun macht uns Oliver Morton mit einem aufschlußreichen Energiemaßstab bekannt: 3 Global gesehen bringt unsere Zivilisation es auf einen Energieverbrauch von ungefähr 13 Terawatt ( TW ), während der Energiestrom aus dem Erdzentrum etwa 40 TW beträgt. Ja, jetzt können wir uns mit der Plattentektonik messen. Natürlich kommt dieser Energieverbrauch nicht im entferntesten an die 170000 TW heran, die wir von der Sonne erhalten, aber er ist doch schon ziemlich
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