Witch & Wizard 1 - Verlorene Welt (German Edition)
alle noch zu leben?
Wisty
Als die Wachmänner mich gegen das Gitter pressten und die Zellentür entriegelten, konnte ich nur an eines denken: Selbst wenn Sasha uns reingelegt hatte – ich hatte versagt . Ich ließ die anderen im Stich. Die Kids im Gefängnis, Emmet, Margo. Und Whit. Und meine Eltern.
Zum zweiten Mal an einem einzigen Tag heulte ich wie ein Baby.
Da geschah etwas Erstaunliches: Eine Gefangene, ein kleines, abgemagertes Mädchen, streckte den Arm durch die Gitterstäbe und legte mir die Hand auf die Schulter. Sie wollte mir Mut machen.
»Nicht weinen. Die sind nur so, weil sie Angst haben«, sagte sie. »Sie fürchten sich vor dir. Vor uns allen.«
»Wie meinst du das?«
»Sie wissen, dass wir alles verändern können. Sie wissen, dass wir uns wehren können.«
»Maul halten, du kleines Stück Scheiße!«, bellte der eine Wachmann wie ein Bluthund. Doch das Mädchen zuckte nicht mal zusammen.
Das brachte mich zum Nachdenken. Dieses spindeldürre, geschundene, kaum noch lebendige Mädchen, dieser weibliche Michael Clancy hatte trotz allem noch die Kraft, mich zu trösten. Die Kraft zu hoffen.
Vielleicht glühte auch in mir noch ein letzter Funke Hoffnung – die einprozentige Überlebenschance, an die ich mich vorhin so verzweifelt geklammert hatte.
Sie fürchten sich vor dir. Vor uns allen.
Als die Bluthundwachmänner mich durch die offene Zellentür bugsieren wollten, drehte ich mich um … und hörte mich wie eine Irre brüllen: »Versteinert!«
Die Männer lachten. Irgendeiner zog mir seinen Schlagstock über den Kopf.
Lichtpunkte tanzten vor meinen Augen, ich klappte fast zusammen. Aber was war geschehen? Die Wachmänner machten keinen Mucks mehr. Niemand zerrte an mir. Und die anderen Kids starrten mich mit offenem Mund an, als wäre der Weihnachtsmann durch den Kamin in ihre Zelle gerauscht.
Hatte es wirklich … ja! Meine Magie hatte wieder funktioniert! Die Wachen standen stocksteif da.
Ich verdrehte die Handgelenke und Ellenbogen, um mich aus dem eisernen Griff der Männer zu winden. Dann war ich frei.
Doch bis zur wahren Freiheit war es noch ein weiter Weg. Über mir blinkte das rote Lämpchen einer Überwachungskamera, die bereits in meine Richtung schwenkte. Wie viele Hundertschaften Wachmänner, wie viele Sicherheitsschleusen musste ich überwinden, um ins Freie zu gelangen?
Und dabei stand mir auch noch mein lästiges Gewissen im Weg. Die Kids in meiner offenen Zelle konnten einfach mitkommen – aber was war mit den vielen anderen hohlwangigen, mitleiderregenden, staunenden Gesichtern, die mich durch die Gitter der Nachbarzellen anblickten? Was war mit den Kids im nächsten Stockwerk? Und im nächsten Block?
Ich löste den Generalschlüssel vom Gürtel eines versteinerten Wachmanns, lief zur nächsten Zelle und schrie durch den ganzen Block: »Wollt ihr hier raus, oder was?«
Unzählige herzzerreißend hoffnungsvolle Stimmen antworteten mir. Ich rannte durch den zentralen Gang und entriegelte eine Zelle nach der anderen.
Auf einmal heulte eine Sirene und mindestens zwanzig Wachmänner stürmten den Block.
Wisty
Die Springerstiefelträger walzten durch die Masse der Kids, die ich eben erst freigelassen hatte. Mit unvergleichlicher Grausamkeit schwangen sie die Schlagstöcke und feuerten ihre Elektroschocker ab.
Es war ein Anblick, der mich für den Rest meines Lebens verfolgen wird: Erwachsene Männer, die neunzig Kilo aufwärts wogen, verprügelten und quälten Kids, die ihnen oft nicht mal bis zur Hüfte gingen.
Der Anblick machte mich krank. Wütender als wütend. Jede Zelle meines Körpers brodelte vor Zorn. Und … wuuusch!
Aber so was von WUUUSCH! Ellenlange – ach was, meterlange – Flammen hüllten mich in einen Feuerwirbel.
Das Flammenmädchen schlägt zurück.
Aber davon hätte ich mir rein gar nichts kaufen können, wäre da nicht diese eine glückliche Fügung gewesen.
Ich stand direkt unter einem Rauchmelder. In früheren Zeiten hatte sich die Regierung nämlich noch um so was wie Menschenleben geschert und deshalb Sicherheitsvorkehrungen angeordnet, die verhindern sollten, dass bei einem Großbrand sämtliche Gefängnisinsassen getötet wurden. Die Neue Ordnung hatte einen Knast übernommen, der noch von einer gerechten, humanen Gesellschaft erbaut worden war, und nicht mitbekommen, dass der Feueralarm automatisch alle inneren Türen entriegelte. Unter anderem die Türen der Zellen.
Und so stimmte das Sirenengeheul des Feueralarms in das
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