wittern ein Geheimnis
Richard. »Wir haben also ungehinderte Aussicht. Niemand wird vermuten, dass oben jemand auf der Lauer liegt. Zum Glück ist die Nacht sternenklar. Schade, dass der Mond noch nicht aufgegangen ist.« Sie näherten sich der alten Hütte sehr vorsichtig, blieben immer wieder stehen und lauschten mit angehaltenem Atem. Doch nichts rührte sich.
»Nicht einmal irgendwo ein Taschenlampenlicht«, flüsterte Richard. »Ich glaube, es ist noch niemand da. Wir rennen jetzt hinein, über die Treppe hinauf und verschwinden.«
Als sie oben waren, fragte Richard: »Hörst du mein Herz klopfen?«
»Nein. Mein eigenes macht zu viel Lärm«, flüsterte Julius. »Das hätten wir geschafft. Wir müssen schnell noch ein paar Mauerbrocken wegräumen. Wenn wir später darüber stolpern, stehen wir blöd da.« Sie räumten einige Steine aus dem Weg und setzten sich dann auf niedrige Mauerreste zwischen den beiden Räumen. Eine sanfte, warme Brise wehte. Ringsum war Stille. Nur die Blätter der Kletterrosen raschelten leise. Richard hatte in einen Dorn gegriffen und saugte nun an seinem Finger.
Eine knappe Stunde mochte vergangen sein, da stieß Julius Richard in die Seite.
»Da tut sich was. Sie kommen«, flüsterte er. »Schau – dort!«
Richard entdeckte ein winziges Licht, das als heller Punkt durch die Dunkelheit wanderte. »Eine Taschenlampe«, flüsterte er. »Und noch eine und noch eine. Die reinste Glühwürmchenprozession! Und dieses Schneckentempo! Haben die am Ende Angst vor uns?«
Die Lichterprozession näherte sich lautlos dem verfallenen Bau und schien sich hier aufzulösen.
»Sie kontrollieren, ob wir auch wirklich weg sind«, flüsterte Julius. »Hoffentlich fällt keinem ein, hier oben nachzusehen.«
»Wir schleichen für alle Fälle hinter den Schornstein«, schlug Richard vor.
Leise bewegten sie sich dorthin, wo die Überreste des Kamins als schwarze Schatten gegen den Sternenhimmel ragten. Der Kamin war breit und mächtig, aber bröckelig. Die beiden drückten sich an das Gemäuer, möglichst weit vom Treppenaufgang entfernt.
»Es kommt tatsächlich jemand herauf«, murmelte Richard. Er hatte Schritte auf der Treppe gehört. »Hoffentlich bleibt er an der Kletterrose hängen, bei der Treppe ist ein großer Ast.«
»Psst!«, machte Julius.
Tatsächlich stand jetzt einer oben. Er machte einen Schritt auf sie zu und stieß einen Fluch aus. Gut!, dachte Richard, das war die Ranke. Das Licht einer Taschenlampe wanderte über die zerfallenen Wände und die Reste des Schornsteins. Die Brüder wagten nicht zu atmen und standen wie erstarrt da.
Sekundenschnell strich der Lichtschein vorüber, dann rief der Unbekannte nach unten: »Niemand hier. Die haben doch die Hosen voll gehabt und sind abgehauen. Wir können anfangen.«
Julius und Richard atmeten auf. Die erste Gefahr war vorüber, zumindest vorläufig. Die Leute unten gaben nun jede Vorsicht auf, riefen laut einander Anweisungen zu und sparten nicht mit Licht aus ihren Taschenlampen. Schließlich mussten sie mindestens zwei Campingleuchten angemacht haben, denn das Licht strahlte hell aus den Fensterhöhlen.
»Wo fangen wir an?«, hörten sie eine Stimme fragen. »Elli, wo hast du den Plan?«
»Hier! Ich werde ihn auf dem Boden ausbreiten«, antwortete eine Stimme, die die Jungen sofort wieder erkannten. Es war die Stimme der »Bäuerin«, mit der sie heute gesprochen hatten. »Der nutzt uns nicht viel. Paul ist kein guter Zeichner.«
Vermutlich beugten sich die Leute unten nun über den Plan; ihre Stimmen waren oben gut zu hören.
»Sicher ist nur, dass wir eine weiße Steinplatte finden müssen. Ihre Größe ist uns bekannt, aber über die genaue Lage wissen wir nichts. Sie muss hier irgendwo sein. In der Römersiedlung war Fehlanzeige. Dort gibt’s keinen Stein von der bewussten Größe.«
Julius stieß Richard an. Die Spürhunde gehörten also zu Gustavs ungebetenen Gästen. Was konnte unter einer Steinplatte schon verborgen sein? Es dauerte keine Minute, da hörten sie es. »Und wenn wir jede große Steinplatte hier in der Gegend umdrehen müssen, ihr werdet es tun«, sagte jemand gelangweilt. »Ich muss diesen geheimen Gang finden, das ist so klar wie dicke Senfsoße. Wir müssen einfach die fünf Blaupausen in die Finger kriegen. Sonst könnt ihr für den Rest eures Lebens dünne Klostersuppe löffeln. Wenn es gut geht. Habt ihr Pech, na, ihr wisst schon, was euch dann blüht.«
»Das musst du Paul sagen«, meldete sich ein anderer.
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