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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihren Mann, ob mit Timmy alles in Ordnung sei, aber Ted gab ihr keine Antwort. Er sah zu, wie Timmy starb, brachte aber kein Wort heraus.
    Sie fuhren gerade über die Queensboro Bridge nach Manhattan hinein, als Ruths Vater mit seiner Geschichte bei Timothys linkem Bein angelangt war, das der Schneepflug in der Mitte des Oberschenkels abgetrennt hatte und das die Sanitäter zurücklassen mußten, als sie den Körper aus dem Wrack bargen.
    »Ich kann die Straße nicht mehr sehen, Daddy«, sagte Ruth.
    »Tja. Es gibt keine Möglichkeit, rechts ranzufahren, Ruthie«, meinte ihr Vater. »Es wird dir nichts anderes übrigbleiben, als weiterzufahren.« Dann erzählte er, wie Marion Timmys Schuh entdeckte. (»Schau, Ted, sein Schuh, er wird ihn brauchen«, hatte Marion gesagt, ohne sich klarzumachen, daß sich Timmys Schuh noch an seinem Bein befand. Und so weiter …)
    Ruth fuhr auf der 3rd Avenue nach Süden.
    »Ich sage dir Bescheid, wann du auf die Park rüberfahren sollst«, sagte ihr Vater. »Auf einer bestimmten Höhe der Park Avenue sind die Weihnachtsdekorationen besonders sehenswert.«
    »Ich kann vor lauter Tränen nicht sehen, wo ich hinfahre, Daddy«, sagte Ruth noch einmal.
    »Aber darin besteht die Prüfung, Ruthie. Sie besteht darin, daß es manchmal keine Möglichkeit gibt, rechts ranzufahren. Manchmal kann man einfach nicht stehenbleiben, sondern muß irgendwie weiterfahren. Hast du das verstanden?«
    »Verstanden.«
    »So, jetzt weißt du alles«, sagte ihr Vater. Erst später wurde Ruth klar, daß sie auch den Teil der Prüfung bestanden hatte, von dem nicht ausdrücklich die Rede gewesen war. Sie hatte ihren Vater kein einziges Mal angesehen. Während der ganzen Zeit, in der er ihr die Geschichte von Thomas und Timothy erzählte, hatte sie den Blick nicht ein einziges Mal von der Straße und vom Rückspiegel abgewandt. Auch das hatte zur Prüfung gehört.
    An jenem Novemberabend im Jahr 1969 hatte ihr Vater sie die Park Avenue entlangfahren lassen, während er sich ununterbrochen zu den Weihnachtsdekorationen äußerte. Irgendwo in den oberen Achtzigern ließ er sie zur 5th Avenue queren. Der folgten sie dann bis zum Stanhope gegenüber dem Metropolitan Museum. Ruth hörte zum erstenmal die Flaggen vor dem Museum im Wind knattern. Ihr Vater wies sie an, dem Portier die Schlüssel des alten weißen Volvo auszuhändigen. Er hieß Manny. Ruth war beeindruckt, daß er ihren Vater kannte.
    Wie sich herausstellte, kannte jeder im Stanhope ihren Vater. Offenbar war er hier ein häufiger Gast. Hier kommt er mit seinen Frauen her! begriff Ruth auf einmal. »Steig immer hier ab, wenn du es dir leisten kannst, Ruthie«, empfahl er ihr. »Es ist ein gutes Hotel.« (Seit 1980 konnte sie es sich leisten.)
    An jenem Abend waren sie in die Bar gegangen, wo sich ihr Vater die Sache mit dem Portwein anders überlegt hatte. Statt dessen bestellte er eine Flasche vorzüglichen Pommard; er trank sie ganz allein, während Ruth sich mit einem doppelten Espresso begnügte, da sie wußte, daß sie noch nach Sagaponack zurückfahren mußte. Während der ganzen Zeit in der Bar hatte Ruth das Gefühl, noch immer das Lenkrad zu umklammern. Und obwohl es hier erlaubt gewesen wäre, ihren Vater anzusehen, bevor sie wieder in den alten weißen Volvo stiegen, konnte sie es nicht. Es war, als säßen sie noch immer im Auto und er erzählte ihr diese schreckliche Geschichte.
    Mitternacht war schon vorüber, als sie die Madison Avenue hinauffuhren und ihr Vater sie irgendwo in den oberen Neunzigern nach Osten abbiegen ließ. Sie nahmen den Franklin D. Roosevelt Drive zur Triborough Bridge, dann den Grand Central Parkway bis zum Long Island Expressway, auf dem ihr Vater einschlief. Ruth wußte noch, daß sie die Ausfahrt Manorville nehmen mußte; sie brauchte ihren Vater nicht zu wecken, um ihn nach dem Heimweg zu fragen.
    Der Wochenendverkehr kam ihr entgegen; die Scheinwerfer der Massen, die in die Stadt zurückkehrten, waren ununterbrochen auf sie gerichtet, aber kaum ein Auto fuhr in ihre Richtung. Ein paarmal jagte sie den Volvo hoch, nur um auszuprobieren, wie schnell er fuhr. Zweimal erreichte sie fünfundachtzig Meilen, einmal sogar neunzig, aber bei diesen Geschwindigkeiten begannen die Vorderräder beängstigend zu flattern. Den größten Teil der Strecke hielt sie sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung und dachte darüber nach, wie ihre Brüder ums Leben gekommen waren – vor allem darüber, wie ihre Mutter Timmys Schuh hatte

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