Witwe für ein Jahr (German Edition)
ihr, es sich ausgemalt zu haben.
Er gestand ihr, daß er es sich ebenfalls vorstellte – schon seit Jahren! Einmal hatte er mit ihrem Schutzumschlagfoto vor Augen onaniert. Als Ruth das hörte, ging sie ins Bad und putzte sich die Zähne, dann zog sie einen frischen Slip und ein T-Shirt an. Als sie aus dem Bad kam, lag er nackt in ihrem Bett.
Sie hatte seinen Penis kein einziges Mal berührt, obwohl sie ihn spürte, als sie sich umarmten; es tat gut, den Jungen zu umarmen. Und als es ums Onanieren ging, war er unglaublich höflich gewesen, wenigstens beim erstenmal. »Ich muß einfach«, sagte er. »Darf ich?«
»Na gut«, sagte sie und wandte ihm den Rücken zu.
»Nein, während ich dich ansehe«, bat er. »Bitte …«
Sie drehte sich zu ihm um. Einmal küßte sie ihn auf die Augen und die Nasenspitze, aber nicht auf die Lippen. Er sah sie so eindringlich an, daß Ruth sich fast einbilden konnte, wieder in seinem Alter zu sein. Und es fiel ihr leicht, sich vorzustellen, daß es bei ihrer Mutter und Eddie O’Hare genauso gewesen war. Diesen Teil hatte Eddie ihr verschwiegen, aber Ruth hatte alle seine Romane gelesen. Sie wußte sehr gut, daß Eddie die Onanierszenen nicht erfunden hatte; der arme Eddie konnte so gut wie nichts erfinden.
Als Wim kam, flatterten seine Augenlider; und da küßte Ruth ihn auf die Lippen, aber es war kein anhaltender Kuß, denn der junge Mann lief peinlich berührt ins Bad, um sich die Hand zu waschen. Als er wieder ins Bett kam, schlief er, mit dem Kopf auf ihrer Brust, so rasch ein, daß sie dachte: Vielleicht hätte ich es auch damit versuchen können!
Dann wurde ihr klar, daß sie froh war, sich nicht auch selbst befriedigt zu haben. Denn dann wäre es eher so gewesen, als hätte sie mit ihm geschlafen. Ruth empfand es als Ironie, daß sie ihre eigenen Regeln aufstellen und ihre eigenen Grenzen ziehen mußte. Sie fragte sich, ob ihre Mutter sich bei Eddie ähnlich zurückhalten oder Grenzen setzen mußte. Hätte Ruth eine Mutter gehabt, wäre sie dann in eine solche Situation geraten?
Nur einmal zog sie das Laken weg und betrachtete den schlafenden jungen Mann. Sie hätte ihn die ganze Nacht ansehen können, doch selbst dabei hielt sie sich zurück und erlegte sich Grenzen auf. Es war ein Abschiedsblick, recht züchtig unter den gegebenen Umständen. Sie beschloß, Wim nicht noch einmal in ihr Bett zu lassen, und am frühen Morgen bestärkte er sie noch in ihrem Entschluß. In der Annahme, daß sie noch schlafe, onanierte er wieder neben ihr, wobei er diesmal heimlich eine Hand unter ihr T-Shirt schob und ihre nackte Brust umfaßte. Sie stellte sich noch immer schlafend, während er ins Bad lief, um seine Hand zu waschen. Dieser geile kleine Bock!
Sie lud ihn zum Frühstück in ein Café ein, und anschließend gingen sie in ein »literarisches« Café, wie er es nannte, am Kloveniersburgwal und tranken noch mehr Kaffee. De Engelbewaarder war ein düsteres Lokal, in dem unter einem Tisch ein pupsender Hund schlief und an den einzigen Tischen, die durch das Fenster etwas Licht bekamen, ein halbes Dutzend englische Fußballfans Bier tranken. Auf ihren glänzenden, blauen Fußballhemden prangte Reklame für ein englisches Lagerbier, und jedesmal wenn wieder ein paar Kumpels hereinkamen und sich zu ihnen gesellten, grölten sie zur Begrüßung ein paar Takte eines Schlachtgesangs. Doch nicht einmal dieses sporadisch ausbrechende Geplärr konnte den Hund aus dem Schlaf reißen oder vom Furzen abhalten. (Wenn De Engelbewaarder Wims Vorstellung von einem »literarischen« Café entsprach, hätte Ruth auf keinen Fall eine in seinen Augen zwielichtige Bar sehen mögen.)
Am Morgen wirkte Wim weniger deprimiert, was seine Schreibkünste betraf. Ruth war der Meinung, ihn hinreichend beglückt zu haben, um etwas Hilfe bei ihren Recherchen erwarten zu dürfen. »Was für eine Art von ›Hilfe‹«, fragte der junge Mann die ältere Schriftstellerin.
»Na ja.«
Ruth mußte daran denken, wie sehr es sie schockiert hatte, als sie las, daß Graham Greene als Student in Oxford mit russischem Roulett experimentiert hatte, jenem selbstmörderischen Revolverspiel. Diese Information hatte ihr Bild von Greene als einem Schriftsteller, der sich vollkommen im Griff hatte, erschüttert. Zu jener Zeit war er in die Erzieherin seiner jüngeren Schwester verliebt gewesen; die junge Frau war zwölf Jahre älter als er und verlobt.
Ruth konnte sich zwar vorstellen, daß ein junger, glühender Verehrer
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