Wizards of Nevermore Bd. 1 - Eine Hexe in Nevermore
leid!«
Der riesige Mann trug einen schwarzen Umhang, der sein Gesicht verbarg, aber nicht seine massigen Hände. Von ihm ging der Schwefelgestank der schwarzen Magie aus. Dabei schien sie aber nur aufgetragen, als wäre sie nicht echt. Wie seltsam.
In diesem Moment versetzte er mit seiner fleischigen Pranke Marcy einen Schlag in den Magen. Das Mädchen kippte um und rutschte über den Schotter.
»Aufhören!«, schrie Lucinda. »Sofort aufhören!«
Der Mann im Umhang sah sie nicht einmal an. Entweder hatte er sie nicht gehört, oder er sah in ihr keine große Bedrohung. Marcy versuchte davonzukriechen, doch er packte ihre Beine und drehte sie zu sich um. Dann griff er nach ihrem Kleid.
Lucinda kam schlitternd zum Stehen und versuchte einen Wasserzauber zu aktivieren. Doch ihre Sehfähigkeit war eingeschränkt, und ihr Körper schmerzte so sehr, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Es war nichts zu machen. »Hören Sie auf, ihr wehzutun!«
Der Wind trug ihre Worte einfach davon. Es war vergeudete Zeit, darauf zu hoffen, dass die Aquamantie funktionierte. Sie musste handeln, rannte los und sprang dem Mann auf den Rücken, während sie mit den Fäusten auf ihn eintrommelte. »Lassen Sie sie los!«
Es war, als versuchte eine Ameise gegen einen Riesen anzukommen.
Der Mann schlug Marcy heftig ins Gesicht. Ein schlimmes Knirschen war zu hören, ihr Kopf schlug nach hinten. Urplötzlich war das Mädchen still.
»Neeeein!« Lucinda hämmerte mit ihren Fäusten auf den Angreifer ein, der nun von Marcy abließ und nach hinten fasste. Er bekam Lucinda an ihrem Umhang zu packen und schleuderte sie auf die Straße.
Angst und Wut und Schrecken brodelten in ihr. Aber auch Erleichterung. Er wird mich umbringen, dachte sie, und alles ist vorbei. Endlich.
Doch zu ihrer Überraschung wandte er sich von ihr ab und beugte sich erneut über Marcy. Er fingerte an der Kleidung des Mädchens herum. Lucinda kamen spontan ein anderer Mann, eine andere Frau, eine andere Tragödie in den Sinn. Jetzt war es nicht mehr dieser Riese, der über Marcy kauerte, sondern Bernard, der sich über ein Mädchen beugte. Ein schönes, unschuldiges Mädchen, das für Bernards Lust geopfert worden war. Seine Hände waren voller Blut, der Schweiß tropfte von seiner Stirn, und seine Augen blickten sie voll kalter Verachtung an. »Glaubst du, du hast sie gerettet?«
Lucinda kehrte in die Realität zurück. Sie aktivierte alle Energie, die sie aufbringen konnte, und richtete sie an den Regen. Dann konzentrierte sie sich auf den Mistkerl und flüsterte: »Verbrühen!«
Jeder Regentropfen, der auf dem Mann landete, war nun so heiß, dass es auf seiner Haut zischte. Sein Umhang konnte ihn vor dem heißen Wasser nicht beschützen. Er saugte sich voll und verbrannte seine Haut. Der Mann schrie auf und stolperte fluchend davon.
Noch während er über die Straße rannte, ließ Lucinda den Zauber bestehen.
Er schrie vor Schmerzen, und ein Gefühl der Genugtuung erfasste sie. Es war zwar nicht schön, sich an den Qualen eines anderen zu erfreuen, aber für diesen Mistkerl empfand sie kein Mitleid. Oh nein.
Plötzlich spürte sie eine Veränderung in der Atmosphäre, ein Prickeln von Magie, und dann hörte sie das Geräusch, das entstand, wenn ein Portal sich öffnete. Sie machte sich nicht die Mühe, mit anzusehen, wie der Mann verschwand. Stattdessen deaktivierte sie den Zauber und kroch dann hinüber zu Marcy.
Der Regen hatte das Blut aus dem Gesicht des Mädchens gewaschen. Endlich schien der Sturm weiterzuziehen, jedenfalls regnete es plötzlich nicht mehr so stark.
Lucinda strich Marcy die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ihre Augenlider flatterten, dann öffnete sie die Augen.
»Meine Güte!« Lucindas Herz tat einen Sprung. Ihre neue Freundin war lebendig! Hoffnung keimte in ihr auf. »Ich hole Hilfe. Versuch einfach …« Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. »Alles wird gut.«
Marcy hustete, und Blut rann aus ihrem Mund. »Taschen.«
Lucinda verstand nicht. Dann wurde ihr klar: Das Mädchen meinte die Taschen seiner Schürze. Sie durchsuchte die Taschen, zog Kellnerblöckchen, Stifte, Servietten und einen roten Seidenbeutel hervor.
»Nimm. Verstecken. Wichtig.«
»Du wolltest also nicht einfach nur so die Stadt verlassen?«
»Versucht … Nevermore … zu beschützen.« Sie hatte die Augen weit aufgerissen, ihre Atmung verlangsamte sich. »Du. Geh.«
»Marcy.« Sie musste den Tod dieses Mädchens verhindern. Sie war so
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