Wo bist du
sicher, ob ich eines Tages Lust haben werde, mit jemandem zu leben. Auch wenn ich zweifelsfrei weiß, dass du der
Jemand sein würdest, ist diese Wette auf die Zukunft ungerecht. Du würdest mich am Ende hassen.«
»Bist du endlich fertig! Du verpasst noch deine Maschine!« Sie rennen los, steuern auf die Tür zu, die allzu schnell näher kommt.
»Und so ein kleiner Flirt kann wirklich nicht schaden!« »Wer sagt, dass es bei einem Flirt bleibt?«
Sie bewegt ihren kleinen Finger und sieht ihn mit schelmischer Miene an. »Er!« Sie fällt ihm um den Hals, küsst seinen Nacken und eilt die Gangway hinauf. Sie dreht sich ein letztes Mal um und wirft ihm einen Kuss zu. Als sie in der Maschine verschwunden ist, murmelt er: »Drei Auslassungspünktchen bis zum nächsten Jahr.«
Zu Hause angekommen, beschloss er, sich nicht der Traurigkeit hinzugeben, die jedes Mal auf ihre Trennung folgte. Er griff zum Hörer und bat die Empfangsdame der Frauenzeitschrift, ihn mit Mary Gautier Thompson zu verbinden. Sie trafen sich bei Einbruch der Dunkelheit vor dem Wolkenkratzer. Die funkelnden Lichter des Times Square tauchten die Passanten in ungewöhnliche Farben. Im Kino, im Film Frau unter Einfluss, berührte er ihren Arm. Zwei Stunden später liefen sie zu Fuß die 42nd Street hinunter. Beim Überqueren der Fifth Avenue nahm er sie an der Hand und zog sie über die Fahrbahn, bevor die Ampel die wartenden Autos entließ. Ein gelbes Taxi fuhr sie nach SoHo. Im Fanelli's führten sie bei einem Chef-Salat ein angeregtes Gespräch über den Film von Cassavetes. Vor der Tür ihres Hauses ging die flüchtige Berührung der Wangen in einen Kuss und heftiges Herzklopfen über.
Kapitel 4
Seit Tagen schon regnete es ohne Unterbrechung. Jeden Abend kündigten heftige Windböen neue Gewitter an, die sich nachts über dem Tal entluden. Die Lehmstraßen weichten auf, das Wasser gelangte in Strömen bis an die Hausmauern und leckte an den Fundamenten. Es bahnte sich auch seinen Weg durch die Dächer und floss hier und dort durch die Balken. Schreie und Lachen der Kinder, für die Susan die »Maestrau« war, erfüllten morgens die Scheune, die zur Schule umfunktioniert worden war. Nachmittags nahm sie den Jeep Wagoneer — fügsamer und wendiger als ihr alter Dodge, dem sie aber immer noch nach-trauerte — und fuhr durch die Täler, um Lebensmittel und Medikamente zu verteilen, manchmal auch behördliche Dokumente, die sie auszufüllen half. Auf die kräftezehrenden Tage folgten gesellige Abende. Sie ging in eine der Bars, in denen die Männer Bier und guajo, ein einheimisches Gebräu, tranken. Um der Einsamkeit des honduranischen Winters zu entfliehen, der früher als gewöhnlich begonnen hatte, mit der Tristesse im Schlepptau und dem Kampf gegen eine widerspenstige Natur, suchte Susan bisweilen Trost in den Armen eines Mannes, nicht immer desselben.
10. November 1977 Susan,
du bist es, mit der ich diese Neuigkeit am liebsten feiern würde: Meine erste große Werbekampagne ist soeben angenommen worden. In ein paar Wochen wird eines meiner Projekte in Form von riesigen Plakaten verwirklicht sein, die über die ganze Stadt verteilt werden. Es handelt sich um ein PR-Projekt für das Museum of Modern Art. Sobald die Plakate gedruckt sind, schicke ich dir eines, damit du ab und zu an mich denkst. Ich füge einen Artikel bei, der in einer
Fachzeitschrift veröffentlicht wird; ich komme eben von dem Interview.
Ich vermisse deine Briefe. Ich weiß zwar, du erstickst in Arbeit, aber mir ist auch klar, dass es nicht der einzige Grund für dein Schweigen ist. Du fehlst mir wirklich, ich sollte es dir wahrscheinlich gar nicht sagen, aber ich will trotzdem nicht dieses idiotische Katz-und-Maus-Spiel mit dir spielen.
Ich hatte mir vorgestellt, dich im Frühjahr zu besuchen; ich habe fast ein schlechtes Gewissen, es nicht schon früher vorgeschlagen zu haben. Ich bin wie alle anderen — ein maß-loser Egoist. Ich möchte deine Welt kennen lernen und begreifen, was dich fern hält von unserem Leben und von all den Vertraulichkeiten unserer Kindheit. Das Paradoxe an der Allgegenwart deiner Abwesenheit ist die Tatsache, dass ich oft mit diesem Mädchen ausgehe, von dem ich dir erzählt habe, und es mir jedes Mal, wenn ich sie nach Hause begleite, so vorkommt, als würde ich mich dir entziehen. Warum ich dir das erzähle? Weil ich immer noch das absurde Gefühl habe, eine uneingestandene Hoffnung zu verraten; ich muss mich von diesem Gefühl befreien.
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