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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gesprochen, als auch schon, begleitet von einem Klingeln, das grüne Dreieck über ihm aufleuchtete.
    »Siehst du, ich habe den richtigen angepeilt.«
    Mary reagierte nicht. Sie hatte die Stirn an die Scheibe gedrückt. Philip ließ den Aufzug weiterfahren und trat neben sie.
    Den Blick auf die Straße gerichtet, ließ sie die Hand in seine gleiten. »Ein gutes neues Jahr.«
    »Das haben wir uns schon vor einer halben Stunde gewünscht!«
    »Das meine ich gar nicht. Es war genau dieselbe Stunde, als wir uns letzten Silvester getroffen haben, wir trieben dort unten, statt hier oben, in der Menge dahin; das ist eigentlich der einzige Unterschied. Ich kann mich nicht beklagen; schließlich sind wir seither dreiunddreißig Etagen aufgerückt.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Philip, seit einem Jahr gehen wir dreimal die Woche abends zum Essen, seit einem Jahr erzählst du mir deine Geschichten und ich dir meine, seit einem Jahr laufen wir kreuz und quer durch SoHo, durchs Village, durch NoHo, wir sind an einem Sonntag sogar bis zum TriBeCa gekommen. Wir müssen alle Bänke des Washington Square durchgesessen, alle Brunch-Lokale, alle Bars ausprobiert haben, und jeden Abend begleitest du mich nach Hause. Und mit diesem verlegenen Lächeln verlässt du mich dann. Und jedes Mal, wenn deine Gestalt hinter die Straßenecke verschwindet, schnürt sich mir die Kehle zusammen. Ich glaube, ich kenne den Weg jetzt gut genug, und du kannst mich allein nach Hause gehen lassen.«
    »Willst du, dass wir uns nicht mehr sehen?«
    »Ich empfinde etwas für dich, Philip, und es ist mir unbegreiflich, dass du das nicht weißt. Wann hörst du endlich auf, nur an dich zu denken? Es wäre an dir, unsere Beziehung zu beenden, wenn es keine ist. Du kannst doch nicht dermaßen blind sein!«
    »Habe ich dich verletzt?«
    Mary holte tief Luft, hob den Kopf und stöhnte leicht auf. »Nein, aber du bist gerade dabei. Und jetzt hol mir bitte diesen verdammten Aufzug zurück!«
    Völlig hilflos drückte er auf den Knopf, und die Tür öffnete sich augenblicklich.
    »Gott sei Dank«, seufzte sie. »Ich war kurz vor dem Ersticken!« Sie trat in die Kabine, Philip stellte den Fuß in die Tür und wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Lass mich gehen, Philip. Ich finde deine Naivität wunderbar, doch allmählich wird deine Dummheit grausam.«
    Sie stieß ihn zurück, und die Türen schlossen sich. Er ging wieder ans Fenster, als wollte er beobachten, wie sie das Gebäude verließ. Er setzte sich auf den Sims und betrachtete die Menschen tief unten.
    Seit zwei Wochen hatte Susan eine Liaison mit dem Leiter der Ambulanz, die gleich hinter dem Hafen eingerichtet worden war. Aufgrund der Entfernung sah sie ihn nur alle drei Tage, aber ihre gemeinsamen Abende reichten aus, um ihr wieder Grübchen - ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie glücklich war - auf die Wangen zu zaubern. Die Stadt war für sie gleichsam eine »Sauerstofftherapie«. Der Lärm der Lastwagen, der Staub, das Gehupe und Geschrei in den Straßen, das Poltern der Kisten, die auf den Boden geworfen wurden, all dieses überschäumende Leben berauschte und befreite sie aus der Benommenheit eines langen Albtraums. Anfang Februar gab sie ihren Leiter der Ambulanz zu Gunsten eines Piloten der Hondurian Airlines auf, der mit einer zweimotorigen Maschine mehrmals täglich Tegucigalpa anflog. Wenn er abends nach San Pedro zurückkam, machte er sich einen Spaß daraus, das Dorf im Tiefflug zu überqueren. Dann sprang sie in ihren Jeep, jagte hinter dem Flugzeug her und versuchte, natürlich vergebens, vor ihm einzutreffen.
    Er erwartete sie am Zaun des kleinen Flugplatzes, zwanzig Kilometer von der Stadt entfernt. Mit seinem Bart und seiner Lederjacke glich er einer Ikone der Fünfzigerjahre, was ihr nicht missfiel, denn es tat ihr bisweilen gut, sich zu einem Leben wie im Film hinreißen zu lassen. Wenn er im Morgengrauen seinen Dienst antrat, raste sie über die Piste zum Dorf zurück. Die Fenster weit geöffnet, sog sie den Geruch nach feuchter Erde, vermischt mit dem der Kiefern, tief in sich ein. Die Sonne ging hinter ihr auf, und wenn sie sich umdrehte und den von ihren Rädern aufgewirbelten Staub sah, fühlte sie sich lebendig. Nachdem die rot-weißen Tragflächen zum zwanzigsten Mal über sie hinweggeflogen waren und die Maschine nur noch ein kleiner Fleck am Horizont war, machte sie kehrt und fuhr nach Hause zurück. Der Film war zu Ende.
    Einen Blumenstrauß in der Hand, drückte er

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