Wo bist du
über sein Spiel gebeugten Sohns. Sie betrachtete Lisa, die ihr gegenübersaß und zeichnete. Als sie sich zum Fenster umwandte, fühlte sie sich plötzlich von der Traurigkeit dieses trüben Nachmittags überwältigt. Lisa hob den Kopf und sah die Tränen, die über Marys Wangen rannen. Ihr prüfender Blick ruhte eine Weile auf ihr, und der Zorn, der in ihr aufstieg, verzerrte ihr Gesicht. Sie sprang vom Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, ging mit entschlossenem Schritt zum Kühlschrank und riss ihn auf. Sie nahm Eier und eine Flasche Milch heraus und knallte die Tür zu. Dann holte sie eine Schüssel, gab beides hinein und verrührte die Mischung mit einer Kraft, die Mary erstaunte. Ohne jegliches Zögern fügte sie Zucker, Mehl und die restlichen Zutaten, die sie aus dem Regal nahm, hinzu. »Was machst du da?«
Die Kleine sah Mary direkt in die Augen, ihre Unterlippe zitterte. »In meinem Land regnet es, aber es ist nicht so ein Regen wie hier, sondern ein richtiger Regen, der so viele Tage andauert, dass man sie
nicht mehr zählen kann. Und bei uns ist der Regen so heftig, dass er immer irgendwann einen Weg unter das Dach findet, und dann läuft er in dein Haus hinein. Der Regen ist klug, das hat Mum mir gesagt, du weißt es nicht, aber er will mehr, immer mehr.«
Der Zorn der Kleinen wuchs mit jedem Wort. Sie zündete das Gas an und ließ die Pfanne heiß werden. Unterdessen fuhr sie fort.
»Also sucht er, wie er weiterkommen kann, und wenn du nicht aufpasst, dann erreicht er sein Ziel. Er gleitet in deinen Kopf, um dich zu ertränken, und wenn ihm das gelungen ist, flieht er durch deine Augen, um jemand anderen zu ertränken. Lüg nicht, ich habe den Regen in deinen Augen gesehen, auch wenn du versucht hast, ihn zurückzuhalten, es war zu spät, du hast ihn hereingelassen, du hast verloren!« Und während sie ihren Monolog zornig fortsetzte, goss sie den Teig in die Pfanne und sah zu, wie er goldgelb briet.
»Dieser Regen ist gefährlich, weil er in deinem Kopf Teile des Gehirns wegspült, schließlich gibst du auf, und dann stirbst du. Ich weiß, dass das stimmt. Ich habe in meinem Land Leute gesehen, die gestorben sind, weil sie aufgegeben haben. Dann musste Enrique sie auf seinem Karren wegbringen. Mum hatte ein Geheimnis, um uns vor dem Regen zu schützen, damit er uns nichts antun konnte ...«
Sie nahm alle Kraft zusammen und schleuderte den Pfannkuchen aus der Pfanne in die Luft. Goldgelb drehte er sich um sich selbst und stieg langsam höher, bis er an der Decke klebte, und zwar genau über Lisa.
»Das ist Mums Geheimnis, sie hat Sonnen unter die Decke gemacht. Sieh doch«, rief sie und zeigte auf den Pfannkuchen, der an der Decke klebte, »so sieh doch! Siehst du die Sonne?«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, backte sie einen zweiten Pfannkuchen und schleuderte ihn zu dem ersten hinauf. Mary wusste nicht, wie sie reagieren sollte, bei jedem Pfannkuchen, der aufstieg, hob die Kleine stolz den Zeigefinger zur Decke:
«Siehst du die Sonnen? Also darfst du jetzt nicht mehr weinen!«
Von dem Duft angelockt, steckte Thomas die Nase zur Tür herein. Er hielt den Atem an und betrachtete die Szene. Zuerst Lisa, die ihn in ihrer Erregung an eine Comic-Figur erinnerte, dann seine Mutter. Zu seinem Erstaunen aber sah er nicht einen Pfannkuchen.
»Habt ihr mir keinen übrig gelassen?«
Lisa tauchte verschmitzt den Zeigefinger in den süßen Teig und steckte ihn in den Mund. Sie warf einen kurzen Blick zur Decke.
»In zwei Sekunden bekommst du einen! Rühr dich nicht vom Fleck!« Als der Pfannkuchen auf die Schulter des Jungen fiel, zuckte er zusammen. Er sah zur Decke und brach in schallendes Gelächter aus, als würde er von tausend Händen gekitzelt. Lisa spürte, wie die Wut in ihr langsam abklang, stellte die Pfanne auf den Herd und lächelte. Gerne hätte sie das Lachen, das jetzt auch in ihr aufstieg, unterdrückt, aber es war ihr unmöglich. Das Gelächter der beiden Kinder hallte im Zimmer wider, und bald stimmte auch Mary ein. Philip war in die Küche getreten, wo ihn ein überraschendes Schauspiel erwartete.
Er roch den süßen Duft und sah sich um.
«Ihr habt Pfannkuchen gebacken und mir keinen übrig gelassen?« »Doch, doch«, sagte Mary mit feuchten Augen, «rühr dich nicht von der Stelle!«
Lisa lehnte am Kühlschrank und hielt sich den Bauch. Thomas lag auf dem Fußboden, schnappte nach Luft und wimmerte.
Es war Philips Lachen, das Mary stutzig machte. Ihr Blick wanderte von ihrem
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