Wo bitte geht's nach Domodossola
ich sie in Deutschland gesehen hatte, noch Bauernhöfe, auf denen alte Traktoren und andere Gerätschaften vor sich hin rosteten, wie in Belgien und Holland. Statt dessen verteilten sich große, elektrische Energie erzeugende Windräder über die Hügellandschaft, oder sie standen aufgereiht entlang der Buchten. Ihre Rotoren drehten sich träge im Wind, und ich dachte flüchtig darüber nach, was für ein Jammer es doch ist, daß sie diese Windräder nicht ästhetischer gestalten konnten – wie überdimensionale holländische Windmühlen meinetwegen. Jahrhundertelang ist es der Menschheit mühelos gelungen, die Landschaft mit Bauwerken zu schmücken, die sich in die Natur einfügten, als wären sie für sie gemacht – die kleinen, gewölbten Brücken, Bauernhäuser aus Stein, Kirchen, Windmühlen und gewundene Straßen. Warum bringt sie heute kaum noch etwas zustande, das nicht einer Beleidigung der Landschaft gleichkommt? Die heutigen Konstruktionen sind bestenfalls einfach und nützlich, wie die phantasielosen, aber praktischen Windräder, an denen ich gerade vorbeirauschte, oder sie sind schäbig und provisorisch, wie die Wellblechschuppen und Betonhallen, die am Rand jeder mittelgroßen Stadt als Riesensupermärkte dienen. Früher haben wir Kulturen geschaffen. Nun bauen wir Einkaufszentren.
Um kurz nach fünf lief der Zug im Kopenhagener Hauptbahnhof ein. Das Touristen-Informationsbüro im Bahnhof hatte bereits geschlossen. Vor seiner Tür stand eine Tafel mit den Namen von etwa dreißig Hotels, und neben jedem Namen gab ein rotes Lämpchen an, ob das jeweilige Hotel bereits voll war oder nicht. Etwa zwei Drittel der Lämpchen leuchteten. So weit, so gut. Aber nirgends war ein Stadtplan zu sehen, auf dem die Hotels eingezeichnet waren. Für einen Moment überlegte ich, ob ich mir einige der Namen und Adressen notieren sollte. Da ich dieser Tafel jedoch alles in allem wenig Vertrauen entgegenbrachte und all die Adressen sowieso bedeutungslos waren, solange ich keinen Stadtplan hatte, ließ ich es bleiben.
Als ich mich von der Tafel abwandte, stand ich einer Stadtstreicherin gegenüber, die sofort meinen Arm ergriff und fröhlich plappernd auf mich einredete. Woher wissen diese Leute immer, wann ich irgendwo eintreffe? Es ist beinahe unheimlich. Ich schätze, es kursieren irgendwelche Rundschreiben oder so was. Gemeinsam irrten wir durch den Bahnhof; ich verzweifelt auf der Suche nach einem ausgehängten Stadtplan, während sie sich an meinen Arm klammerte und mir verrückte Vertraulichkeiten zuflüsterte. Wir müssen ein komisches Bild abgegeben haben.
Weit und breit war kein Stadtplan zu sehen, also gestattete ich der Dame, mich bis zum Haupteingang zu begleiten. Dort löste ich mich aus ihrem Griff und drückte ihr ein paar kleine Münzen der verschiedensten Währungen in die Hand, woraufhin sie ihrer Wege ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich sah ihr nach und fragte mich, warum es verrückte Leute immer in die Bahnhöfe zieht. Man könnte meinen, Bahnhöfe seien ihr Arbeitsplatz. (»Schatz, ich geh zum Bahnhof, ein bißchen im Müll rumstochern und Fremde anquatschen. Um fünf bin ich zurück!«) Warum suchen sie sich keine angenehmeren Orte aus, wie die Alpen oder einen Strand?
Ich fragte in einem halben Dutzend Hotels in unmittelbarer Nachbarschaft des Bahnhofs nach einem Zimmer, aber alles war belegt. Als ich mich in einem der Hotels erkundigte, ob es einen besonderen Grund für diesen Andrang gäbe, einen Kongreß oder einen Feiertag oder dergleichen, erklärte man mir, daß es in Kopenhagen immer so schwer sei, ein Zimmer zu finden. Ja, ist denn das nicht ärgerlich? Kann man auf einem Kontinent, dessen wirtschaftliche Eckpfeiler Handel und Tourismus sind, nicht erwarten, daß die Dinge so geregelt sind, daß ein Reisender auch am späten Nachmittag noch ein Bett für die Nacht findet, ohne stundenlang durch die Gegend latschen zu müssen? Da stand ich nun – bereit, in den Hotels und Restaurants dieser Stadt mein Geld auszugeben, ihren Museen und Straßenbahnen finanziell unter die Arme zu greifen, mit vollen Händen Devisen unters Volk zu bringen und, ohne zu murren, ihre horrende Mehrwertsteuer von zweiundzwanzig Prozent zu zahlen, und alles, was ich von ihnen wollte, war ein Bett für die Nacht.
Wie das so ist, wenn man etwas sucht, schienen Hotels in Kopenhagen plötzlich dünn gesät zu sein. Ich marschierte einmal quer durch die Altstadt, vergeblich, und wollte gerade wieder zum
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