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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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der die weiblichen Büroangestellten ihre Mittagspause nutzen, um oben ohne in den städtischen Parks ein Sonnenbad zu nehmen. Allein deshalb hat Kopenhagen in meinen Augen den Titel »Kulturhauptstadt Europas« verdient, und zwar Jahr für Jahr aufs neue. Ich aß in einem schicken, überfüllten Kellerrestaurant auf halber Höhe der Nyhavn zu Abend und war der einzige unter den Gästen, der nicht aussah, als käme er soeben von den Dreharbeiten zu Miami Vice. Alle Männer trugen bis zum Hals geknöpfte Hemden, und die Frauen schmückten sich mit großen Ohrringen und wirren Frisuren, so daß sie jedesmal ihr Haar beiseite schieben mußten, wenn sie sich über den Teller beugten. Jeder hier war schön. Ich kam mir vor wie Barney Rubble und rechnete jeden Moment damit, daß der Geschäftsführer an meinen Tisch treten würde, um zu sagen: »Entschuldigen Sie, mein Herr, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, sich ein wenig von diesem Schaumfestiger ins Haar zu schmieren?«. Doch das Personal behandelte mich wie einen alten Freund, und das Essen war so ausgezeichnet, daß ich mich leichten Herzens von dem ansehnlichen Bündel Banknoten trennte, das eine Mahlzeit in Kopenhagen nun mal kostet.
    Es war schon dunkel, als ich die Treppe zur Straße wieder hinaufstieg. Obwohl sich die Luft deutlich abgekühlt hatte, saßen die Leute noch immer draußen an den Tischen, hatten sich ihre Jacken über die Schultern gehängt und unterhielten sich angeregt. Ich überquerte den grünen Kongens Nytorv, einen der Hauptplätze der Stadt, und stand wenig später auf der Strøget, der längsten Fußgängerzone der Welt. Auf einer Länge von knapp zwei Kilometern vereinen sich fünf Straßen, um den Kongens Nytorv mit dem anderen Hauptplatz der Stadt, dem Rådhus Pladsen am Tivoli, zu verbinden. Jeder Bericht über Kopenhagen ist voll des Lobes für die Strøget, doch ich bin immer ein wenig enttäuscht. Jedesmal, wenn ich sie sehe, scheint sie ein kleines bißchen schäbiger geworden zu sein. Zwar gibt es in der Nähe des Kongens Nytorv noch immer viele todschicke Geschäfte, aber die andere Hälfte der Strøget verkommt allmählich zu einer Ansammlung von billigen Souvenirläden, McDonald’s, Burger Kings und anderen hell erleuchteten Fast-foodTempeln. Die Straße könnte ein paar Bänke vertragen, und auch ein paar Kübel mit den guten, alten Geranien würden ihr nicht schaden. Jedenfalls ist es eine Schande, daß sie es in einem so wohlhabenden und auf guten Geschmack bedachten Land wie Dänemark nicht geschafft haben, dieser Straße mehr Charme zu verleihen. Dennoch ist es angenehm, von einem Ende der Innenstadt zum anderen zu laufen, ohne auch nur einem Auto zu begegnen. Und wenn man das westliche Ende der Strøget erreicht hat und gerade meint, daß die Gegend nun aber wirklich zu trostlos wird und daß es an der Zeit sei umzukehren, steht man auf dem großen, bunten Rådhus Pladsen, dem Rathausplatz. Es hat mich in Europa schon immer beeindruckt, daß sie auf den Dächern und an den oberen Stockwerken der Gebäude, die rund um ihre größten Plätze stehen, farbenprächtige Neonschilder anbringen. Tagsüber fallen sie nicht auf, weil sie so hoch angebracht sind, und die strenge Würde der Gebäude, die ihrer Funktion entspricht, bleibt gewahrt. Aber wenn die Dunkelheit hereinbricht und wir ein wenig optische Aufheiterung gebrauchen können, dann erstrahlen dieselben Gebäude im Glanz dieser Leuchtreklamen, die den ganzen Platz erhellen und deren Farben sich auf den Gesichtern der Leute widerspiegeln. 
    Ich ging zum Tivoli hinüber, obwohl ich schon von weitem sehen konnte, daß es geschlossen war. Am Eingang verkündete ein Schild, daß der Vergnügungspark erst in einigen Wochen wieder öffnen würde. Auf dem Weg zurück über den Platz in Richtung Strøget kam ich an einem kleinen Menschenauflauf vorbei und blieb neugierig stehen.
    Zwei Polizisten, ein Mann und eine Frau, beide jung und blond und so prächtig wie jedermann in dieser Stadt, redeten ruhig und verständnisvoll auf einen Jungen von etwa siebzehn Jahren ein. Er stand offenbar unter der Einwirkung jener Sorte von Droge, die das menschliche Gehirn in einen Hochgeschwindigkeitsfahrstuhl zum Pluto verwandelt. Von seiner Blitzreise durch den Kosmos verwirrt, mußte der Junge ins Stolpern geraten sein und hatte sich den Kopf aufgeschlagen; ein paar Tropfen Blut rannen ihm vom Haaransatz auf die flaumige Wange. Die beiden Ordnungshüter trugen die flottesten

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