Wo Dein Herz Zu Hause Ist

Joanie Flynn drei Häuser weiter, die schon anfängt zu heulen, wenn ihr die Mütze vom Kopf geblasen wird, und so tut, als würde sie in Ohnmacht fallen, wenn sie mal ein Problem hat? Ich glaube nicht. Matthew tut so, als würde es ihm nichts ausmachen, wieder ins Internat zu müssen, aber ich weiß, dass das nicht stimmt. Letztes Jahr haben ihm seine Mitschüler ziemlich zugesetzt – das hat er mir erst vor kurzem erzählt. Es war ihm peinlich. Die Schulleitung hat deswegen mit seinem Dad gesprochen, aber Matthew meinte, dass sein Dad darüber Bescheid weiß, war schlimmer als alles, was seine Klassenkameraden gemacht haben. Sein Dad hat mit ihm geschimpft, aber die anderen Jungs sind von der Schule geflogen, und seitdem wird Matthew in Ruhe gelassen. Davor haben immerhin noch ein paar Jungs mit Matthew geredet, aber das macht jetzt keiner mehr, weil ihn alle für einen Verräter halten. Blöde Idioten. Die machen alles mit, statt mal den Mund aufzumachen, weil sie nicht hineingezogen werden
wollen. Das habe ich Matthew auch gesagt, und er meinte, ich hätte leicht reden. Das sagt jeder, aber so leicht ist es nicht. Ich glaube eben, dass ich mich wehren würde! Matthew lacht, wenn ich so etwas sage, aber ich weiß, dass es ihm in Wirklichkeit gefällt.
    Vor diesem Wochenende haben Matthew und ich noch nicht richtig Sex gehabt, weil wir Angst hatten, dass ich schwanger werden könnte, und es ist wirklich kompliziert, irgendwelche Verhütungsmittel zu organisieren. Sheila macht es mit der ‹natürlichen Methode›. Sie sagt, alles hängt vom Zyklus ab. Sie hat mir alles Mögliche über fruchtbare und unfruchtbare Tage und den Eisprung erzählt, aber ich habe einfach auf Durchzug gestellt. Sie hat sich ein Buch aus der Leihbücherei geholt, und jetzt ist sie eine richtige Expertin. Sie würde bestimmt eine sehr gute Krankenschwester abgeben. Aber in dieser Nacht, in unserem warmen, nach Camping riechenden Schlafsack, ist es einfach passiert. Ich habe Angst, dass ich schwanger bin, aber ich bin froh, dass wir es getan haben. Es war richtig. Matthew hat es letztes Jahr schon einmal mit einem Mädchen in Boston gemacht, also habe ich so getan, als wäre es nichts Besonderes, aber es war etwas sehr Besonderes für mich. Ich habe mich gefühlt wie, na ja, ich weiß nicht so genau, wie ich mich gefühlt habe, vielleicht irgendwie erwachsen oder so. Ich weiß auch nicht. Ich habe nicht geglaubt, dass ich ihn diese Woche mehr lieben kann, als ich es schon letzte Woche getan habe, aber ich tue es. Als ich ihm in die Augen gesehen habe, während er in mich eingedrungen ist, hat irgendetwas in meinem Herzen Klick gemacht. Ich weiß nicht, was das war, aber in diesem Augenblick war ich vollkommen von der Gegenwart erfüllt, und mein ganzes Leben hat einen Sinn bekommen. Das klingt komisch, und vielleicht bin ich eine Idiotin, aber
auf ein Mal habe ich meinen Platz in der Welt gefunden. Und damit meine ich nicht, dass ich ihm gehöre und damit hat es sich. Was ich meine, ist, dass ich zum ersten Mal die Zukunft klar vor mir sah und nicht wie auf einer fernen Trauminsel. Ich werde Schriftstellerin. Ich werde mein Herz, meine Seele, meine Erfahrungen, meinen Mangel an Erfahrungen, meine Träume, meine Hoffnungen, und vor allem meine Liebe – ich werde all das zu Papier bringen. Eines Tages, wenn ich wirklich etwas zu sagen habe, werde ich schreiben, denn alle Menschen lieben gute Geschichten.
    Wir haben viel darüber geredet, dass wir nächstes Jahr nach dem Schulabschluss nach Amerika gehen wollen. Nach Kentucky. Dort gibt es Universitäten, und ich könnte studieren. Ich bin gut in der Schule, auch wenn ich die ganze Zeit im Unterricht schwätze. Ich könnte es schaffen, jedenfalls sagt das Matthew. Ich könnte Literatur studieren, und Matthew könnte in Keeneland arbeiten. Er hat letzte Woche seinen Vater gefragt, ob er ihm helfen könnte, dorthin zu kommen, und sein Dad hat gesagt, das würde er machen, und dann hat er noch gesagt, dass es ihm gleichgültig ist, ob Matthew jemals zurückkommt. Aber das liegt daran, dass sein Dad wirklich ein Versager ist, sein Freund Ronnie dagegen leitet Keeneland und ist ein toller Typ. Matthew sagt, er lässt uns beide bestimmt bei sich wohnen. Er hat eine große Familie und seine Frau Marjorie und die ganzen Kinder (elf!!) reiten, und sie haben hunderte von Stallungen und Stallburschen, und die Arbeiter werden behandelt, als gehörten sie zur Familie, und sie veranstalten jedes Wochenende