Wo Dein Herz Zu Hause Ist
sicher, aber wahrscheinlich schon.»
Tränen stiegen in Beths Augen. «Ich will aber nichts ausziehen.»
Harri lächelte. Man vergaß viel zu leicht, dass Beth erst sechzehn war. Sie wirkte viel erwachsener und benahm sich auch so, aber wenn sie weinte, war sie einfach nur ein kleines Mädchen.
«Die sehen so etwas jeden Tag», sagte sie und versetzte Beth einen aufmunternden Schubs, so wie es George bei ihr oft tat.
«Die sehen aber nicht
mich
jeden Tag», sagte Beth, und auf einmal tropften Tränen von ihrem Kinn herunter.
«Ich weiß, dass es peinlich ist», sagte Harri. «Warte erst mal, bis du in mein Alter kommst und jedes Jahr einen Abstrich machen lassen musst!» Sie verdrehte ihre Augen Richtung Decke.
Beth hörte auf zu weinen.
«Tut das weh?»
«Nein, es ist nur ziemlich peinlich.»
«Dir ist etwas peinlich?»
«Ja, es ist grässlich.»
Beth lachte ein bisschen.
«Du wirst es schon überstehen», sagte Harri.
Beth grinste. «Ich schätze, wenn ich alt genug bin, um mit jemandem ins Bett zu gehen, muss ich auch alt genug sein, um mit den Konsequenzen klarzukommen.»
Seufzend lehnte sich Harri auf ihrem Stuhl zurück. «Wie kannst du mit sechzehn nur so vernünftig sein? Mit dir verglichen war ich damals so richtig jung und dumm.»
«Sämtliche bedeutenden Lebensfragen werden einem heutzutage in irgendwelchen Teenagerserien beantwortet», behauptete Beth, «ganz besonders in
Dawson’s Creek
. Ein Klischee jagt das nächste. Ich habe die ersten drei Staffeln auf DVD, falls du interessiert bist.»
Harri lachte. «Ich schätze, die Teenagerdramen habe ich hinter mir, aber trotzdem danke für das Angebot.»
Wenig später wurde Beth aufgerufen. Harri lächelte ihr ermutigend zu. Beth war ziemlich blass geworden, ging aber trotzdem ohne zu zögern in das Behandlungszimmer.
Sehr vernünftig. Ich hätte mich wahrscheinlich erst mal wochenlang bloß gekratzt.
Später, nachdem Harri die Rechnung bezahlt und das Medikament besorgt hatte, das der Arzt empfohlen hatte, gingen sie in das Restaurant The Elephant & Castle, das in der Nähe von Georges Wohnung im Stadtbezirk Temple Bar lag. Beth blieb Ewigkeiten in der Damentoilette verschwunden, doch schließlich saßen sie gemeinsam an einem der Fenstertische und aßen zu Mittag.
«Du schaust ständig aus dem Fenster», sagte Beth.
«Das stimmt.»
«Du siehst dich nach George um, oder?»
«Er kommt oft hierher», sagte Harri eher zu sich selbst als zu Beth.
«Ich hab die anderen gestern Abend noch reden hören, als du schon gegangen warst. Sie machen sich Sorgen um dich, wegen dem Geheimnis.»
«Weißt du denn etwas über das Geheimnis?», fragte Harri und versuchte, sich ihre Aufregung nicht ansehen zu lassen.
«Ich weiß nur, dass es ein Geheimnis gibt.»
Harri sah erneut aus dem Fenster. «Er geht mir aus dem Weg.»
«Er glaubt, damit könnte er dich irgendwie abschirmen.»
Harri lachte. «Ist das deine Meinung?»
«Nein, das hat Aidan gesagt, nachdem du weg warst.»
«Oh. Und was denkst du selbst? Hat deine Teenagerserie für solche Fälle auch einen Tipp parat?» Es amüsierte sie, dass Beth offenbar glaubte, sie habe den allumfassenden Durchblick.
«Das ist nicht irgendeine Teenagerserie, es ist
Dawson’s Creek
. Und das Geheimnis ist vermutlich überhaupt nichts Besonderes.» Beth nickte weise. «Erwachsene neigen dazu, alles besonders kompliziert zu machen.»
Harri lächelte. «Ich werde in Zukunft daran denken.» Sie waren mit ihren Chicken Wings fertig, und Beth wartete auf den Eisbecher, den sie zum Nachtisch bestellt hatte.
«Harri?»
«Ja?»
«Was hältst du eigentlich von meinem Dad?»
Harri wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.» Harri hatte die Angewohnheit, manchmal genau das zu sagen, was sie gerade dachte, und das war vermutlich auch der Grund dafür, dass Beth so gern mit ihr zu tun hatte.
«Er ist ein Mistkerl», verkündete Beth.
«Beth!»
«Fang bloß nicht an, ihn zu verteidigen. Er beteiligt sich jetzt schon fast ein halbes Jahr nicht mehr am Familienleben. Außerdem behandelt er Mum total mies. Ich bekomme genau mit, wie sie darunter leidet.»
«So einfach ist das alles nicht.»
«Das sagt sie auch, aber das ist Quatsch. Außerdem bin ich die Einzige, die wirklich sieht, wie schlecht es ihr geht.»
«Sie haben eine schwierige Phase, aber sie schaffen esvielleicht wieder», sagte Harri zögernd. Sie wusste, dass sie sich auf dünnes
Weitere Kostenlose Bücher