Wo Dein Herz Zu Hause Ist
Kaffee reichte.
«Der Pferdezüchter?»
«Genau der.»
«Warum tut er das?», fragte Trisha, die nicht aus der Gegend stammte und erst seit kurzem in dem Pflegeheim arbeitete.
«Hast du schon von dem Mädchen gehört, das Mitte der Siebziger bei der Geburt ihres Kindes in Devil’s Glen gestorben ist?»
«Ja, ich habe so etwas gehört. Eine traurige Geschichte.»
«Deirdre war die Mutter dieses Mädchens. Und Matt Delamere war ihr Freund.»
«Wirklich?»
«Ja, wirklich.»
«Und wo war er, als sie im Wald verblutet ist?»
«Wer weiß. Dieser Arzt, wie heißt er noch, hat sie gefunden.»
«Schrecklich.»
«Allerdings.»
«Und kein Mensch hat gewusst, dass sie schwanger ist?»
«Na ja, wenn irgendwer es gewusst hat, dann hat er nichts davon gesagt. Allerdings wäre sie damals garantiert in irgendein Heim verfrachtet worden, also würde es mich überraschen, wenn jemand etwas gewusst hat.»
«Es muss grauenvoll für ihn gewesen sein», sagte Trisha kopfschüttelnd.
«Tja, er zahlt nicht umsonst seit zwanzig Jahren Deirdres Rechnungen.»
«Du machst Witze!»
Maisie nickte vielsagend und ging hinaus, während Trisha noch eine ganze Weile über diesen saftigen Tratsch nachdachte.
Es passieren doch überall die unglaublichsten Sachen.
Susan saß auf dem Beifahrersitz und blätterte in einem Katalog. «Hier sind ein paar tolle Sachen drin», sagte sie zu Harri. «Meinst du, wir könnten dort anhalten und einen Blick in den Laden werfen? Bray liegt doch auf dem Weg.»
Harri seufzte. «Okay.»
Sue hatte darauf beharrt, mitzukommen. Sobald Harri
verkündet hatte, sie würde sich einen Tag frei nehmen, wusste Sue, dass irgendetwas Besonderes vorging. Darauf bestürmte sie Harri so lange mit Fragen, bis sie endlich erzählte, was sie vorhatte. Normalerweise hätte Harri Sue ausweichen können, doch da Sue zur Zeit in ihrem Wohnzimmer logierte, war das unmöglich gewesen. Sie waren vier Stunden später als geplant losgefahren. Eine Sendung auf alt gemachter Möbel aus Valbonne in Frankreich war fehlgeleitet worden, und Sue hatte fast den gesamten Vormittag am Telefon mit der Speditionsfirma verbracht, während Harri den Kunden vertröstete.
Wenn ich mir schon mal einen Tag frei nehmen will.
«Es dauert nicht mal eine Stunde. Wir springen nur ganz kurz rein», sagte Sue, immer noch in dem Katalog blätternd.
«Ist gut», sagte Harri leicht genervt.
Ich will schließlich nur ans Grab meiner Mutter, da ist es doch angemessen, vorher eine kleine Shoppingtour zu machen.
«Super.» Sue lächelte glücklich. «Wir könnten auch noch irgendwo etwas essen. Ich sterbe vor Hunger.»
«Übertreib’s nicht!», warnte sie Harri, und nach ihrem Blick zu urteilen, meinte sie es ernst.
Sue sagte nichts darauf und stellte das Radio an. Gerry Ryan redete über Hochzeiten und Live-Bands, die man dafür engagieren konnte. Sue lachte. «Weißt du, wie die Band hieß, die bei meiner Hochzeit gespielt hat?»
«Nein», sagte Harri.
«Mixed Grill.» Sue lächelte, und Harri musste ebenfalls grinsen. «Sie haben trotzdem verdammt gut gespielt.» Dann erlosch ihr Lächeln, und sie erinnerte sich niedergeschlagen daran, dass ihre Ehe gescheitert war.
Es war ein strahlender, warmer Tag; die Sonne hingan einem wolkenlosen blauen Himmel. Harri und Sue fuhren mit heruntergeklapptem Verdeck. Die neue Autobahn erstreckte sich vor ihnen, und es erwartete sie ein Abenteuer, auf das sich keine der beiden Frauen ausreichend vorbereitet fühlte. Harri stellte sich immer wieder die gleichen Fragen.
Was erwartet mich dort? Tue ich das Richtige? Soll ich wirklich an die Vergangenheit rühren? Könnte ich es überhaupt bleiben lassen, wenn ich es wollte?
Für Sue dagegen gab es nur eine einzige Frage.
Was mache ich, wenn sie zusammenbricht?
Mit der Sonne im Rücken fuhren die beiden nach Wicklow. Gelegentlich lächelten sie sich an, doch die meiste Zeit sahen sie schweigend geradeaus.
Melissa hätte gern mit ihrer Freundin den Tag verbracht, an dem sie zum ersten Mal ihren richtigen Geburtstag feierte – feiern war allerdings der falsche Ausdruck. Trauern wäre vermutlich angebrachter, aber vielleicht würde Harri auch nicht trauern. Obwohl sie das Grab ihrer Mutter besuchte, galt dieser Besuch in Wahrheit einer lange verstorbenen Fremden. Gloria war Harris Mutter, und sie war noch sehr lebendig.
All das war ziemlich verwirrend und schwer zu fassen, sodass Melissa, auch wenn sie gerne bei ihrer Freundin gewesen wäre, nicht gewusst
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