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Wo der Elch begraben liegt

Wo der Elch begraben liegt

Titel: Wo der Elch begraben liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Hjulstroem
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Runde gehen, während du drei Runden rennst. Was meinst du?«
    Aliana nickte. Agnes steckte die Nadel in den Stoff, legte die Stickerei auf den Küchentisch und lief Aliana nach, die bereits, sobald sie ihre Schuhe angezogen hatte, durch den Flur sauste.
    An der Treppe trafen sie sich wieder. Aliana keuchte und war rot im Gesicht, und Agnes hatte sich von der kühlen Februarluft erfrischen lassen.
    » Ich hab gewonnen«, rief Aliana triumphierend.
    » Du hast gewonnen«, bestätigte Agnes. » Du bist drei Runden gerannt, und ich bin nur eine gegangen.«
    Als sie wieder in die Küche kamen, saß Aferdita am Tisch. Sie hielt die Stickerei mit der Sonnenblume in den Händen. Sie war sehr konzentriert und stickte mit einer Präzision, Geschwindigkeit und Hingabe, die nur eine geübte Schneiderin haben kann. Sie hatte bereits ein paar der gelben Blütenblätter fertig gestickt.
    Erstaunt setzte sich Agnes neben Aferdita und lächelte ihr aufmunternd zu. » Sie können das?«
    Aferdita blickte kurz zu ihr hoch und sagte etwas auf Albanisch.
    » Sonnenblumen«, übersetzte Aliana. » Sie hat Sonnenblumen angebaut.«
    Micke kam im selben Moment auf die Treppe heraus, als Frida und Dani den Hof betraten. Dieselbe Jeans, dasselbe Hemd. Kein bestimmter Gesichtsausdruck. Frida kam sich vor wie damals, als Mama und Papa sich stritten und sie selbst lauschend auf der Treppe saß, erschrocken, aber doch neugierig, was als Nächstes passieren würde. Er musste doch sicher total sauer sein, weil sie einfach hinausgegangen und verschwunden war. Er hatte sich immerhin Mühe gemacht, das Essen zubereitet und Kerzen angezündet. Natürlich war er sauer und enttäuscht. Hätte sie vielleicht etwas dankbarer sein sollen? Aber schließlich hatte er ja auch ihr den Abend verdorben. Eigentlich sollte sie diejenige sein, die sauer war. Oder?
    Micke trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab, während er die Treppe herunterkam und ihnen entgegenging. Er warf sich das Tuch über die Schulter und setzte ein breites Grinsen auf.
    » Hallo! War ja verdammt nett gestern. Das müssen wir bald wiederholen. Vielleicht ein bisschen zu viel Wein, aber ich habe wie ein Stein geschlafen. Wen hast du denn da mitgebracht?«
    Frida stellte die beiden einander vor und war völlig überrumpelt, dass er die Geschehnisse des letzten Abends einfach ignorierte. Tat er bloß so, oder konnte er sich wirklich nicht erinnern? Es schien, als wären seine Worte vom Vortag niemals ausgesprochen worden. Frida stimmte lachend in den allgemeinen Small Talk ein, bedankte sich für den Abend und schloss den Wagen auf.
    Als sie vom Hof herunterfuhren, frage Dani mit zusammengebissenen Zähnen: »Sei ehrlich. Ist er dein Liebhaber?«
    Frida schüttelte den Kopf. » Nein, ist er nicht.«
    In Lennarts Café in Eksjö, am Tisch ganz in der Ecke, saß Annika mit einem großen Café Latte und schrieb eine Plus- und Minusliste. Sie war müde, hatte nach der gestrigen Szene schlecht auf dem Sofa eines Bekannten geschlafen. Wieder einmal hatte sie es nicht lassen können, das Gespräch auf Jeanette zu bringen, obwohl sie versprochen hatte, es nicht zu tun. Die Sache war zwar schon ein paar Jahre her, erledigt und verbüßt, doch er hatte wieder auf ihr herumgehackt, ihre Argumente zurückgewiesen und ihr Gefühl, sich in einem beschränkten Kleinstadtmilieu wie in Treibsand zu bewegen, nicht ernst genommen. Die Plusliste war kurz: noch immer ganz attraktiv, durchtrainiert, manchmal lustig, tüchtiger Journalist. Die Minusliste war verheerend lang: egofixiert, überheblich, Muttersöhnchen, veränderungsunwillig, nicht hilfsbereit, mürrisch, nörgelig, schlechter Zuhörer und völlig nutzlos im Hinblick auf ihre Unterstützung… Wenn sie nur daran dachte, zu Hause die Tür zu öffnen und den Flur zu betreten, konnte sie schon körperlich spüren, wie ihr die Luft wegblieb und sie nicht atmen konnte. Die ganzen Jahre, die sie dort gesessen, auf die Kinder aufgepasst und darauf gewartet hatte, dass er nach Hause kam und Verantwortung übernahm. Wenn er dann kam, spielte er eine Viertelstunde mit den Kindern, zog sich die Joggingschuhe an, lief raus und rannte los. Sie machte das Abendessen und aß mit den Kindern. Wenn die Kinder ins Bett gingen, musste er duschen. Wenn er dann fertig war und essen und sich unterhalten wollte, war sie nur noch müde und stocksauer.
    Als Frida zur Zeitung gekommen war, hatte Annika sich wiedererkannt: So war sie selbst früher auch einmal gewesen.

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